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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
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eine Zigarette anzünden zu dürfen. Du kannst gerne rauchen, es stört mich nicht, auch wenn ich vor vier Jahren damit aufgehört habe, weißt du, ich bin ein wenig herzkrank. Den letzten Satz sagte sie auf diese spielerische und kokette Art, mit der alte Menschen manchmal versuchen, ihre geistigen Absenzen oder Erinnerungslücken zu rechtfertigen. Der Mann rauchte schnörkellos, ohne Kringel zu blasen oder den Rauch durch die Nase auszuatmen, er hielt die Zigarette zwischen Mittelfinger, Zeigefinger und Daumen, so schlagen die rumänischen Bauern das Kreuz. Während er ihr gerade in die Augen sah, konnte er doch die Gedanken frei schweifen lassen. Sein Blick war grün, ausdruckslos, als schwebte er in einem leeren Marmeladenglas. Er hört mir ja nicht einmal zu,tut nichts zur Sache, ich werde weiterreden, immer noch besser, als mit dem Foto oder der Katze zu sprechen. Anna dachte an Georges Fotografie, er war vor drei Jahren gestorben, und an die Katze Dracula, mit der sie ihre Cervelatwurst teilte. Um ihn auf die Probe zu stellen, wiederholte sie mehrmals denselben Satz, doch er reagierte nicht. Ist gut, ich höre also meinen eigenen Worten zu, wie dem Wasser, das aus einem undichten Hahn sickert. Eine schöne Frau war Anna nie gewesen, aber sie war stolz auf ihren Körper, der noch heute der einer Dreißigjährigen hätte sein können, wäre er nicht mit dem Fluch eines Bäuchleins geschlagen gewesen. Ich bin wie meine Mutter, nur dass ihre Krankheiten mich zehn Jahre früher ereilt haben. Ich denke deshalb auch, ich könnte wohl siebzig werden, Mutter ist jetzt achtzig. Terry habe ich im zweiten Jahr an der Universität kennengelernt, wir waren Kommilitoninnen der Germanistik – das klingt wie eine Kader-Empfehlung aus den fünfziger Jahren –, als wir auch Freundinnen wurden. Sie war Ungarin, eigentlich hieß sie Kövary Tereza. Wahrscheinlich war es meine ungaro-altaische Abstammung väterlicherseits, dass ich mich sofort zu ihr hingezogen fühlte. Wir liehen uns gegenseitig Kleider aus, wenn wir eine Verabredung hatten, und bei Prüfungen trugen wir jede den Ring der anderen, damit er uns Glück brachte.
    Der Frau schlafen die Füße ein, und sie setzt sie auf den Boden, dabei entblößt sie ihre Knöchel. Der grüne Blick sticht noch immer in ihre Pupillen, er ist weder warm noch kalt. Anna schweigt. Der Mann schweigt. Ein paar Minuten lang wird das Zimmer kleiner, dunkler, wird drückend, es muss wohl ein Engel hier sein, der seinen Schatten zwischen uns geworfen hat.Ich warte, zähle, die Minuten brennen, als flößte mir jemand durch einen Trichter Ungeduld ins Blut. Ich warte, ohne genau zu wissen auf was, ich fühle, es ist eine unmögliche Sache, fast eine Monstrosität, vor der ich mich in Wirklichkeit ängstige. Ich komme mir lächerlich vor. Ich weiß nicht, wie andere mich sehen, aber die wissen ja nicht, wer in meinen Gedanken das Licht auslöscht, wer dort mein Bett zerwühlt.
    Zagna Vădeni war ein Betrieb für Gemüseanbau, der die Flora-Konservenfabrik belieferte. Der Siret floss sanft zwischen den Streifen Erde dahin, die vor Trockenheit aufgesprungen oder bepflanzt waren mit Tomaten und Möhren. Die Ackerdistel befiel die Pflanzungen, die Sprenganlagen standen Tag und Nacht nicht still. Wir schritten wie Vogelscheuchen ohne Beine durchs Unkraut, mit Zeitungshüten auf dem Kopf. Die Zigeuner unterbrachen ihr Jäten, und manchmal drehte ein besonders ausgekochter mit Schnauzbart und schwarzem Hut unwillkürlich den Kopf nach unseren seltsamen Erscheinungen, verständlich war es ja, und spie zwei magische Worte aus: »Şucar cei«, für uns klangen sie so aufregend wie »Sesam öffne dich«. Jeden Morgen, wenn wir am Zigeunerlager vorbeikamen, wurden wir unverändert mit »Şucar cei« begrüßt. Wir vergingen fast vor Neugier zu erfahren, was es bedeutete. Schließlich fragten wir eine alte Zigeunerin, und sie sagte es uns: »Schönes Mädchen.« In ihren Drillichkleidern, mit sommersprossigen und sonnenverbrannten Schultern, fielen beide den Männern angenehm ins Auge. Das hatten auch der Ingenieur Berbecaru und der Kreisinspektor Genosse Buruiană bemerkt. Eines Abends, nachdem sie die Anwesenheitslisten der Landarbeiter geprüft und in der Ingenieurbaracke nochein wenig Zeit bei einem Glas Verde zugebracht hatten, es war elf Uhr nachts und bereits vollkommen dunkel, der Mond hing übergroß und närrisch am Himmel wie ein ausgehöhlter Kürbis mit brennender Kerze darin, drangen die
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