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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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Einführung
     
     
     
    Hexenprozesse von der Art, wie sie in diesem Buch geschildert werden, gab es im Mittelalter noch nicht. Sie kamen seltsamerweise erst zu Beginn der Neuzeit auf, steigerten sich an Umfang und Furchtbarkeit und erreichten ihren Höhepunkt im 17. Jahrhundert. Zur gleichen Zeit entwickelte sich die moderne Naturwissenschaft, lehrte die Aufklärung die Menschen eine ganz neue Art zu denken. Wie war ein solcher Zwiespalt möglich?
    Von altersher hatte man in Europa, wie überall in der Welt, an Hexen geglaubt und ihre Künste ebenso gefürchtet wie gesucht. Bestraft aber wurden sie nur dann, wenn sie vermeintlich Schaden angerichtet hatten, und auch dann oft noch milde. So war es im »finsteren Mittelalter« gewesen. Im Morgengrauen der Neuzeit änderte sich das plötzlich.
    Eine der Ursachen war, daß im Jahre 1487 mit Hilfe der eben erfundenen Buchdruckerkunst der ›Malleus maleficarum‹ veröffentlicht wurde, der berüchtigte ›Hexenhammer‹, den zwei deutsche Dominikaner als Anleitung zur Ausrottung des Hexengesindels verfaßt hatten. Es war das Machwerk einer wahnsinnigen Phantasie, die den ganzen Greuel des Hexenwesens und der Hexenverfolgungen eigentlich erst schuf, indem sie verworrene Vorstellungen finstersten Aberglaubens in eine Art von System brachte. Dennoch hat das Buch zweieinhalb Jahrhunderte lang seine unheilvolle Wirkung, auch auf kluge, gebildete Männer, ausgeübt und Massenprozesse von nie gekanntem Ausmaß hervorgerufen. Diese Wirkung wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht hinter dem Hexenaberglauben eine noch viel größere Angst die Menschen jener Zeit gejagt hätte. Sie entsprang einer tiefen Unsicherheit gegenüber der verwandelten, in geistiger wie in geographischer Hinsicht neu erforschten, neu gesehenen Welt.
    Alles, was dumpf und dunkel, nicht erst seit dem Mittelalter, sondern schon von Urzeiten her im Grund der menschlichen Seele lebte, lehnte sich auf gegen das allzu helle Licht der anbrechenden Neuzeit. Noch lange blieb der Mut der wenigen vergeblich, die sich, oft unter Einsatz ihres Lebens, dem Massenwahn entgegenstellten.
    Ein solcher Fall ist Gegenstand dieses Buches. Die Ereignisse selbst, Schauplätze, Daten und viele der Personen sind historisch. Der Fall ist leider nicht der einzige. Aber zwei Dokumente vor allem waren es, die gerade auf ihn und auf diese Stadt hinwiesen. Das erste war ein ›Verzeichnis der Hexenleut , so mit dem Schwert gerichtet und hernacher verbrannt worden‹, das offenbar als private Aufzeichnung »in einem Taschenbüchlein« die Jahrhunderte überdauert hat. Es packt durch seine Lebensnähe, wie ein Blick mitten in den Alltag der geängstigten Stadt. In der ›Chronik des Malefizschreibers‹ ist es fast vollständig wiedergegeben. Das zweite Dokument könnte sehr wohl mit den Ereignissen gerade in dieser Stadt zusammenhängen, und man hat das lange Zeit geglaubt. Heute weiß man es anders. Aber das ist nicht wichtig bei der Bedeutung dieses Werks für die ganze Frage. Es ist die berühmte ›Cautio criminalis‹ des Jesuitenpaters Friedrich von Spee, die er gerade in jenen Jahren gegen die Hexenprozesse schrieb. Er beruft sich darin auf eigene Erfahrungen als Hexenbeichtiger. Das gibt seinem Buch die unmittelbare Überzeugungskraft. Es wurde eins der bahnbrechenden Werke gegen den Hexenwahn. Die Abschnitte ›Aus dem Gewissensbuch des Vaters Friedrich‹ sind wörtlich daraus entnommen. Spee selbst wurde als »Pater Friedrich« eine Hauptgestalt des Buches. Seine – erdachten – Briefe an den väterlichen Freund sind aus Wortlaut und Gedanken der ›Cautio‹ entwickelt. Sie zeigen seinen Weg vom gläubig gehorsamen Priester zum Kämpfer gegen Wahn und Unrecht. Diese Wandlung muß sich einmal in ihm vollzogen haben, und sie könnte so gewesen sein, wie sie hier geschildert wird.
    Der Name der Stadt wird absichtlich nicht genannt, denn er ist unwichtig. Es kam nicht darauf an, eine Kuriosität aus der Ortsgeschichte möglichst aktengetreu zu schildern, sondern das zeitlos Gültige, das bis in unsere Gegenwart hinein Wiederholbare der Ereignisse hervorzuheben.
    Denn die letzte Hexe Europas wurde erst 1782 in Glarus gerichtlich verurteilt und enthauptet. Noch vor einem Menschenalter hat man mitten unter uns Tausende von Männern, Frauen und Kindern einem anderen Massenwahn geopfert. Hat sich wirklich so viel geändert in dreihundert Jahren? Die Notwendigkeit zu offenem Bekenntnis und mutigem Kampf gegen Unmenschlichkeit ist
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