Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
Vom Netzwerk:
Aber du magst denken, was du willst, mir hat der Kitsch immer gefallen. Ich selbst bin ja, ohne eine Lobeshymne auf mich anstimmen zu wollen, ein Kitschprodukt. Wenn du mich so ansiehst, wird es dir schwerfallen, dir das Mädchen mit dem langen schwarzen Haar vorzustellen, es fiel in einem dicken geflochtenen Zopf über meinen Rücken, ich trug ein Kattunkleid mit Rüschen, das meine Schultern freiließ, ging in schwarzen Ballerinas, deren gekreuzte gelbe oder rote Bänder ich um die Waden schlang, sodass sie zu den Kleidern passten, und steckte mir Blumen ins Haar. Die Passanten drehten die Köpfe nach mir um, und hätten sie mich einmal nicht bemerkt, ich hätte darunter gelitten.
    Als er sieht, wie ihre Augen warm werden und weich, fast wässrig, ergreift der grüne Blick die Gelegenheit beim Schopf, gibt sich harmlos und krümmt sich hinein wie in ein Nest. Hätte er mich damals gekannt, alles wäre einfacher gewesen, diese Gitterstäbe zwischen uns hätten nicht existiert, durch die hindurch wir uns nicht berühren können, nur sehen. Der grüne Blick wird süß wie ein Pistaziensorbet, ich hätte Lust, daran zu lecken.
    Anfangs war Terry ebenso vorurteilsfrei wie ich. Abwechselnd verführten wir Jozsi, den Sohn der Kantinenköchin am Ufer des Siret, einen Albino-Traktoristen mit bleichen Wimpern. Wir machten ihm vor, ich wäre eine Friseuse und sie eine Maniküre, und wenn er sich entschiede, eine von uns zu heiraten, wäre ihm die andere nicht böse. Er entstammte einer wohlhabenden Schwabenfamilie aus Darova. Anfang der Fünfzigerjahre waren Großgrundbesitzer, Serben sowie Deutsche aus dem Banat und aus Siebenbürgen mit ihren Familien in den Bărăgan verschleppt worden, um dort gemeinsam mit den Zigeunern den dürren Boden dieses Landstrichs zu bearbeiten; wahrscheinlich hast du davon gehört, sie mussten sich mitten auf freiem Feld Lehmhütten bauen. Wir sind nur zwei Wochen dort gewesen. Vierzehn Tage lang aßen wir morgens, mittags und abends ausschließlich Kohl mit Schafsfleisch. Anscheinend wich das Leben der Bărăganleute nicht sehr von dem jener Sachsen und Schwaben ab, die man in die sibirischen Minen deportiert hatte, weil sie angeblich in die Wehrmacht eingetreten waren und einige sogar Mitglieder der SS gewesen sein mochten. In Wahrheit bezahlten sie teuer dafür, dass sie fleißig waren und Höfe besaßen, die den Neid jener armen Schlucker erweckten, die jetzt mit der Unterstützung Moskaus von der kommunistischen Regierung gestärkt worden waren.
    Terry und Anna glichen sich nicht in vielen Dingen, sie aßen verschiedene Sachen, liebten, träumten und kleideten sich verschieden. Ich glaube, ich bin besser für das Leben gerüstet als Terry, wie ein hungriger Wolf schlang ich den ewigen Kohl mit Schafsfleisch herunter, sogar Terrys Portionen. Ichhabe mich selbst gewundert, wie in einem Körper von 58 Zentimetern Taillenumfang derartige Mengen Platz finden konnten. Terry wiederum rührte nichts an, im Gegenzug gab ich ihr am Ende der Woche, wenn wir das Geld ausbezahlt bekamen, die beeindruckende Summe von 25 Lei. Davon kaufte ich ihr im Nachbardorf Käse und Sauerrahm. Wenn wir zu den Zigeunerbällen gingen, tanzte sie nur mit dem Bulibascha, ich bevorzugte den hübschen Jungen mit dem Schnauzbart und dem schwarzen Hut, er hatte keinen Rang in der Hierarchie der Schatra. Ich weiß nicht, wie sehr dich solcher Blödsinn interessiert – Leichtigkeit, dein Name ist Weib, das passt auf mich wie die Faust aufs Auge – denn nur eine Frau bleibt bis an ihr Lebensende all den Ingredienzien verhaftet, die ihrem Dasein Würze verleihen. Wie gesagt, wir kleideten uns vollkommen verschieden; ich erfand meine Kostümierung selbst, und es gefiel mir, wie auf einer Bühne herumzulaufen. Woher kommt diese unwiderstehliche Anziehungskraft des Theaters? Vielleicht von meiner Mutter, die Tänzerin war. Terry hingegen trug, was en vogue war, sie mochte alles, was auch den meisten ihrer Altersgenossinnen gefiel. Der Unterschied zwischen uns war, ich nahm die Mode voraus, und sie hielt mit ihr Schritt. Vielleicht erfreute sie sich aus diesem Grunde auch in der Literatur immer einstimmiger Bewunderung, mir galt nur die Zustimmung weniger Leser. Ich erwähnte es schon, auch unsere Träume glichen sich nicht. Sie träumte für gewöhnlich von echten Personen in nachvollziehbaren Situationen, Träume, die man schnell vergisst, ich … apropos, hör mal, was ich vor ein paar Tagen geträumt habe. Ich war in Wien;
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher