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Der Neue im Sportinternat

Der Neue im Sportinternat

Titel: Der Neue im Sportinternat
Autoren: Thomas Mindt
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Rufbruch ins Ungewisse
    Wenn die Welt still steht, dann sollte das wegen eines großen Gefühls, vielleicht aus Freundschaft, geschehen. Denn es ist wahr: Das Leben vergeht, aber die Liebe bleibt in den Herzen. Für immer.
    Für Leon ist die Welt stehen geblieben. Mehr noch. In einem Augenblick voller Unbeschwertheit, als er überhaupt nicht damit gerechnet hat, ist ein gewaltiger Orkan über sie hinweggefegt und hat sie nicht nur ein wenig durcheinandergerüttelt, sondern völlig aus den Angeln gehoben und auf den Kopf gestellt. Nichts ist mehr so, wie es war!
    Leon sinkt in die weiche Lehne aus schwarzem Leder des Mercedes 600 SEL und verzieht keine Miene. Sein Blick ist nach vorn gerichtet. Er starrt durch die Frontscheibe und sieht dem Ungewissen, das sein Aufbruch nach sich ziehen wird, entgegen. So fühlt sich also der Auftakt seiner Verbannung an, zumindest fallt er standesgemäß aus. Allerdings hätte Leon gut darauf verzichten können. Aber auch in diesem Punkt hat sich sein Vater durchgesetzt! Die Form muss gewahrt werden, schließlich hat die Familie Farrell einen Ruf zu verlieren.
    Leon unterdrückt die Tränen in seinen Augen, so gut er kann. Nur nicht heulen und wenn, dann aus Wut! Aber diese Genugtuung wird er niemandem geben, erst recht nicht seinem Vater, dieser Bourgeois, der sich wie ein Familiendespot aufführt. Mit seiner Bestrafung wird er absolut gar nichts erreichen, denn die Natur lässt sich nicht bestrafen! Aber das versteht er ja nicht, weil er es nicht verstehen will. Er könnte Leon auf den Mond schießen und ihn dorthin verbannen, ohne dass sich etwas ändern würde. Und das alles wegen eines Gefühls!
    Wenn man sich versteckt und verleugnet, dann ist man nur ein kleines Stück Dreck, findet Leon. Und genau das will er nicht sein! Leon will nicht als Phantom enden, das einsam durch die Nacht schleicht und Ketten hinter sich herschleift. Ketten, die seine Seele gefangen halten! Es geht um Selbstbestimmung, davon ist Leon überzeugt. Er will nicht zulassen, dass jemand ihm einen wichtigen Teil von sich nimmt. Dazu hat niemand das Recht, auch nicht sein Vater! Es geht um Freundschaft und um all das im Leben, was uns emotional zum König werden lässt!
    Die Blicke seiner Familie von draußen kann Leon förmlich auf der Haut spüren. Die Fensterscheibe von der Autotür hat er ganz bewusst runtergelassen, weil er nicht mal im Traum daran denkt, sich hinter dem getönten Glas zu verstecken! Leon weiß schon jetzt, seine Mutter Isabelle mit ihrer französischen Seele wird ihm am meisten fehlen. Auch sie konnte Leon nicht vor der väterlichen Bestrafung bewahren. »Aime!«, hatte sie geseufzt mit einem bittersüßen Lächeln, als sie ihre mütterliche Niederlage in puncto Erziehungsvorstellungen, basierend auf Respekt und Vertrauen, akzeptieren musste. Liebe! »Cest une question de temps!«, flüsterte sie im Nachhinein mit dem Blick zu ihrem Mann, Leons Vater. Leon hatte das Gefühl, seine Mutter meinte sich selbst damit. Für ihn ist das mit der Liebe nämlich keine Frage der Zeit, sondern eine Frage des Herzens!
    Die Sanftheit seiner Mutter wird Leon vermissen ebenso ihre Wärme. Er liebt es, wenn sie alles um sich herum vergisst und auf Französisch vor sich hersingt. Manchmal steht sie am Fenster, schaut mit einem melancholischen Blick in die Welt und sieht dann immer ganz besonders hübsch aus. Sie stammt aus Paris. Wann immer ihre Melancholie zu groß wird und damit droht, sie hinfortzuspülen, fährt sie dorthin und verbringt einige Tage in der Heimat.
    Leon ist sich sicher, dass sein Bruder Phillip zufrieden in sich hineingrinst. Vermutlich steht er neben seinem Vater und füllt die Rolle des Kronprinzen wieder einmal perfekt aus. Das macht Phillip doch mit links! Er ist der väterliche Stolz und engagiert sich fürs Familienunternehmen. Phillip sieht sich schon am Ziel seiner Träume und kann es gar nicht mehr erwarten, an der Spitze des Unternehmens zu stehen. Der Weg für ihn ist frei, so viel steht fest. Und wer immer sich Phillip in den Weg stellen sollte, wird von ihm gnadenlos weggekickt! Leon hat längst erkannt, dass Phillip es mit seinen 19 Jahren bereits faustdick hinter den Ohren hat. Das muss das väterliche Erbgut sein! Unter anderen Umständen würde Leon sich augenblicklich seinem Bruder zuwenden, um ihm den Mittelfinger entgegenzustrecken. Fuck you! Leon belässt es bei dem Gedanken daran, denn schließlich hat er sich fest vorgenommen, keinerlei Regung zu zeigen.
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