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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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schnellen Schritten gehe ich den Korridor entlang. Ich zögere keine Sekunde. Stattdessen öffne ich die Tür und trete ein.
    Das dunkle Zimmer sieht genauso aus, wie ich es in Erinnerung habe. Die Vorhänge sperren das Tageslicht aus und der Läufer liegt wieder an seinem Platz. Eine seltsame
Energie pulsiert durch die Luft, eine Vibration, die mir durch die Adern zu summen scheint. Ich schüttele den Kopf und das Geräusch wird schwächer.
    Ich gehe zur Kommode und ziehe die oberste Schublade auf. Ich sollte eigentlich nicht überrascht sein, die Sachen meiner Mutter dort vorzufinden, aber aus irgendeinem Grund bin ich es doch. Einen Großteil meiner Lebensspanne war sie für mich nicht mehr als eine Vorstellung. Irgendwie lassen die feine Seide und die Spitze ihrer Unterröcke und Strümpfe sie mit einem Mal wirklich erscheinen. Ich kann sie fast vor mir sehen, eine Frau aus Fleisch und Blut bei ihrer Morgentoilette.
    Ich zwinge mich dazu, ihre Wäsche zu berühren, die Stücke anzuheben, nach etwas zu suchen, das Vaters Anwesenheit in diesem Zimmer zum Zeitpunkt seines Todes erklären würde - ein Tagebuch, einen alten Brief, irgendetwas. Ich finde nichts und wende mich den anderen Schubladen zu, durchsuche sie bis in den hintersten Winkel. Aber es ist nichts da. Nichts außer dem parfümierten Papier, mit dem die Kommode ausgeschlagen ist und das schon vor langer Zeit seinen Duft verloren hat.
    Ich lehne mich an die Kommode und suche mit den Augen den Raum nach möglichen anderen Verstecken ab. Ich trete zum Bett, gehe in die Hocke und lüfte die hauchzarte Tagesdecke, spähe unter das Bett. Dort ist es blitzsauber. Zweifellos machen die Dienstboten hier regelmäßig sauber.
    Mein Blick fällt auf den Läufer. Das Bild von Alice in
dem Kreis hat sich in meinen Geist eingeritzt. Ich weiß, was ich sah, aber ich muss trotzdem nachschauen. Ich muss mich vergewissern.
    Ich gehe zum Läufer, und als ich den Rand erreiche, fängt mein Kopf an zu summen. Die Vibration bedrängt meine Gedanken, meine Sicht, bis ich glaube, ohnmächtig zu werden. Meine Fingerspitzen werden taub, und von meinen Füßen aufwärts steigt ein Prickeln, bis ich das Gefühl habe, dass meine Beine unter mir nachgeben.
    Und dann setzt das Flüstern wieder ein. Es ist das gleiche Flüstern, das ich letzte Nacht hörte, das mich zum dunklen Zimmer lockte. Aber diesmal klingt es bedrohlich, wie eine Warnung, wie ein Befehl umzukehren. Kalter Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn und ich fange an zu zittern. Nein, es ist kein Zittern. Es schüttelt mich förmlich, so sehr, dass meine Zähne aufeinanderklappern und ich vor dem Läufer zu Boden sinke. Mein Selbsterhaltungstrieb schreit mich an, befiehlt mir, wegzulaufen und das dunkle Zimmer aus meinem Gedächtnis zu streichen.
    Aber ich muss es sehen. Ich muss es einfach sehen.
    Die Hand, auf die ich blicke, bebt und zittert, greift nach dem Saum des Läufers. Das Flüstern wird lauter und lauter, bis das Summen in meinem Kopf zu einem vielstimmigen Schreien anwächst. Ich zwinge mich, nicht zurückzuweichen, packe die Ecke des Läufers mit Fingern, die kaum in der Lage sind, sich um das dünne Teppichgewebe zu schließen.

    Ich ziehe den Läufer zurück und das Flüstern verstummt.
    Der Kreis ist da, genau wie letzte Nacht. Und obwohl die Stimmen nicht mehr sprechen, reagiert mein Körper mit Krämpfen auf den Anblick des Kreises. Einen Moment lang glaube ich, ich müsse mich übergeben. Ohne den Schutz der Dunkelheit erkenne ich, dass die Kerben, wo das Holz der Dielen weggeschnitten wurde, um den Kreis zu bilden, frisch sind. Dies ist kein Überbleibsel aus der Zeit, als meine Mutter im dunklen Zimmer lebte, sondern etwas, das erst jüngst erschaffen wurde.
    Ich ziehe den Läufer wieder über die Einkerbungen und erhebe mich auf zitternden Beinen. Ich werde mich von meiner Entdeckung nicht in Panik aus diesem Zimmer treiben lassen. Aus dem Zimmer meiner Mutter. Entschlossen führe ich mein Vorhaben weiter aus und gehe zum Schrank, wobei ich um den Läufer herumgehe, denn meine Füße können nicht - gestatten es mir nicht -, darüber hinwegzugehen.
    Mit einem Ruck öffne ich die Schranktüren und unterziehe das Innere einer kurzen Prüfung, die nicht so sorgfältig ausfällt, wie sie hätte sein können. Aber das kümmert mich nicht mehr. Ich bin mir bewusst, dass ich den Raum verlassen muss. So schnell wie möglich.
    In dem Schrank befindet sich sowieso nichts von Bedeutung. Ein paar alte

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