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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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nass und die Turnschuhe vollgesogen. Einer der Jungs geht vor dem Hydranten in die Hocke und fummelt ihm an der einzigen Brust herum. Falls er einen Schraubenschlüssel hat, kann Alfredo ihn nicht sehen. Aber möglicherweise braucht die Jugend von heute auch gar nicht mehr das martialische Werkzeug aus Alfredos Kindertagen. Vielleicht hat der Junge Charme, vielleicht kann er das Wasser allein durch Süßholzraspeln in Gang setzen. Der Junge wird beobachtet, aber jeder in diesem Block, in all diesen Blöcken, wird beobachtet. Hinter ihm, in Liegestühlen auf dem Gehsteig vor einem Reisebüro, murmeln dunkelhäutige Männer ermutigende Worte. Fühlt sich gut an, wieder zurück in Jackson Heights zu sein, denkt Alfredo. Violett, feucht glänzend und dicht gedrängt, sehen die Kinder aus wie Weintrauben, und statt die Gruppe zu durchtrennen, weicht Alfredo auf die Straße aus und geht um sie herum. In einem geparkten Auto, dessen Fenster alle hochgerollt sind, teilt sich eine vierköpfige indische Familie einen Eimer fritiertes Hühnchen. So etwas sieht man in Corona nicht. Alles wirkt lebendiger hier, farbiger. Aber das ist vielleicht unfair. Kann sein, dass Alfredo in seinem neuen Viertel einfach noch nicht genau genug hingeschaut hat. Er war zum Beispiel noch nicht beim Lemon Ice King of Corona, nicht einmal im Flushing Meadows Park, um sich die Unisphere anzugucken. Aber sind die Augen der Tauben in Corona auch so rot? Riecht die Luft dort etwa nach frischem Brot, nach geschmolzenem Käse?
    In Gedanken versunken, findet Alfredo sich plötzlich auf einem problematischen Abschnitt des Bürgersteigs wieder. Wie ein fauliger Zahn lauert mitten in dieser Ladenreihe Gianni’s Pizza. Um diese Zeit sind wahrscheinlich jede Menge alter Freunde dort, darunter einige, die letzten Juni mit Alfredo im Bau gesessen haben, bevor die Bullen mitsamt ihren schönen Fällen achtkantig aus dem Gericht geflogen waren. Ohne Durchsuchungsbefehl, Euer Ehren! Alfredo will die Typen wiedersehen und gleichzeitig auch nicht. Er geht langsamer und sieht sein Spiegelbild im Fenster eines 99-Cent-Ladens. Er hasst es, mitten auf der Straße einfach umzudrehen – er kommt sich dabei immer wie der letzte Feigling vor –, aber was soll er sonst machen? Für die, die ihn unter Umständen bemerkt haben, bleibt er stehen, gibt ein tss -Geräusch von sich und wirft übertrieben ärgerlich den Kopf zurück, als hätte er vergessen, den Herd auszumachen oder das Bügeleisen, als hätte er einen wichtigen, hochgeheimen Mikrofilm im falschen Titankoffer gelassen. Macht auf dem Absatz kehrt. Geht in die Richtung, aus der er gekommen ist. Als er wieder an der indischen Familie vorbeikommt, hält er den Kopf gesenkt und biegt am Northern Boulevard links ab. Dadurch ist er nun in der Richtung unterwegs, die er immer hatte nehmen wollen, nämlich weg von seinen Eltern.
    Vor der Gasse bringt er sich in Stellung. Der Waschsalon hat bereits geschlossen, aber das Nagelstudio hat noch geöffnet. Egal, ob endzeitliche Entrückung oder Osama Bin Laden, irgendeine Lady braucht ganz sicher noch eine Mani- oder Pediküre. Auf der anderen Straßenseite versuchen die Koreaner, die den Süßigkeitenladen gekauft haben, das Gitter herunterzulassen. Haben Angst vor Plünderern, und das zu Recht. Alfredo, der guter Dinge ist, sich freut, hier zu sein, ruft zu ihnen hinüber. Erklärt ihnen, dass das Gitter automatisch geht und sich vorerst nicht bewegen wird. Sie werfen die Hände in die Luft, als würden sie nach Fliegen schlagen, und zerren dann weiter an ihrem Gitter. Wie auch immer. Ihr Problem. Sie wollen schließen, aber Alfredo legt gerade erst los. Einmalige Gelegenheit. Alfredo verteilt die Kerzen im Halbkreis um seine Füße herum, als wollte er böse Geister fernhalten. Er stellt Stumpen zu Stumpen, Votivkerzen zu Votivkerzen. Wie die Freiheitsstatue reckt er eine Fackel in die Luft.
    »Holt sie euch, solange ihr könnt, Leute. Wird ne Weile dunkel bleiben. Holt euch eure Kerzen. Blackout-Sonderpreis. Fünf Dollar die Kerze. Holt sie euch. Bringt Licht nach Hause. Zu Mann und Frau. Fünf Dollar die Kerze. Fünf Dollar das Stück. Nehmt vier, und ihr bekommt eine umsonst dazu. Fünf Dollar, fünf Dollar, fünf Dollar. Nehmt so viel Licht, wie ihr kriegen könnt, Leute. Heute Nacht wird’s finster. Terroristen kommen, um uns zu töten. Also, was meint ihr? Fünf Dollar. Hier gibt’s Licht. Zu Queens-Preisen. Unschlagbar. Fünf Dollar das Stück. Holt euch euer
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