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Fucking Munich

Fucking Munich

Titel: Fucking Munich
Autoren: Mona Hanke
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    In Fahrt gebracht
    W as für ein schöner Tag, dachte Anna. Heute würde sich das Geschäft lohnen.
    Sie saß im Kassenhäuschen des «Dark Torture», das von außen wie eine Burgruine aussah, und gab Tickets für die Fahrt aus. Der Duft von gebrannten Mandeln und Zuckerwatte stieg ihr in die Nase. Lautsprecherdurchsagen und die Musik der anderen Buden und Fahrbetriebe dröhnten bis in ihre winzige Kabine. Auf dem Oktoberfest gab es an die zweihundert Schaustellerbetriebe, davon etwa achtzig Fahrgeschäfte. Daher herrschte für gewöhnlich Trubel. Anna mochte das – am meisten die Geräusche aus der Geisterbahn: schauriges Lachen, Kreischen und Todesschreie. Das Rumpeln der Gondeln im Inneren der Halle übertrug sich bis zu ihr und brachte ihren Drehstuhl zum Vibrieren.
    Ihr Freund Ben arbeitete in dem Fahrgeschäft, auf dem bewegliche Sensenmänner, Monster und allerlei andere blutrünstige Gestalten saßen. Anna half an der Kasse aus, solange in der Schießbude ihrer Familie nicht viel los war. Außerdem stand man sich da nur gegenseitig im Weg, deshalb war sie entbehrlich.
    Als Schausteller zu leben war hart, dennoch liebte Anna den Job. Und sie liebte Ben. Gern sprang sie im Familienbetrieb seiner Eltern ein, auch weil sie ihrem Liebsten dort nah war. Heute hatte sie sich sogar geschminkt und ihrem braunen Haar mit einem Rotton zu mehr Farbe verholfen, um besonders attraktiv für ihn zu sein.
    Leider hatten sie sich in den letzten Tagen kaum gesehen. In ihrer knapp bemessenen Freizeit war Ben mit seinem Bruder Hannes unterwegs gewesen. Wenn das überhaupt stimmte. Womöglich hatte er sich auch mit einer anderen Frau vergnügt, denn im Bett lief es gerade nicht gut zwischen ihnen. Zwar war Ben zuvorkommend und verwöhnte sie, aber sie traute sich nicht, ihm zu sagen, was sie wirklich wollte. Einmal hatte sie sich überwunden, da hatte Ben geantwortet: «Du spinnst ja, ich schlag doch keine Frauen!»
    Damit war das Thema für ihn erledigt gewesen.
    Vielleicht war es besser, wenn sie sich trennten. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem sie dem Mann begegnete, der sie verstand. Oder war sie nicht normal, weil sie Lust empfand, wenn ihr jemand Schmerzen zufügte?
    Ihr Magen verkrampfte sich, als sie daran dachte, Ben zu verlassen. Dennoch lächelte sie tapfer und sagte: «Ich wünsche eine schaurige Fahrt», als sie einem Jugendlichen ein Ticket verkaufte. Nun stand niemand mehr an.
    Vom Nachmittag an bis in die Nacht hinein würde es stressig werden, aber noch war es relativ ruhig. Keine langen Wartezeiten an den Fahrgeschäften.
    Heute war ein besonders warmer Septembertag, weshalb Anna lediglich ein Sommerkleid und Sandalen trug. Verträumt verfolgte sie die Schwünge des riesigen Piratenschiffs, das auf der anderen Straßenseite stand. Es flog so hoch in den blauen Himmel, dass es sich beinahe überschlug. Genau wie ihr Herz. Ob sie Ben direkt fragen sollte, ob er eine andere hatte?
    «Wenn ich nur wüsste, was ich machen soll», murmelte sie.
    Anna genoss die Tage, die sie mit ihrer Familie auf der Theresienwiese verbrachte, auch wenn der September und der Oktober die anstrengendsten Monate im ganzen Jahr waren. Die «Wiesn» war immerhin das größte Volksfest der Welt – eine Attraktion schon für sich –, das jährlich über sechs Millionen Menschen besuchten.
    München war eine tolle Stadt. Die Schausteller würden noch eine Woche hierbleiben, bevor sie abbauten und weiterzogen, auf ein anderes Volksfest. Wenn sich die Wege ihrer Geschäfte einmal trennten, blieb Anna bei Ben. Seit drei Jahren war sie ein Teil seiner Familie. Jeder hatte sie akzeptiert, und Anna fand seine Eltern sehr sympathisch. Ohne die Probleme im Bett und diese Unsicherheit, ob ihr Liebster sie betrog, hätte alles wunderbar sein können.
    Plötzlich bemerkte sie Bens drei Jahre älteren Bruder Hannes, der, die Hände in den Jeanstaschen, über die Straße schlenderte, genau auf sie zu. Dabei grinste er frech.
    Die Geschwister halfen beide im Familienunternehmen. Sie wechselten sich stündlich ab und erschreckten in grusliger Verkleidung die Fahrgäste.
    Ihr Herz machte einen Sprung, weil Hannes sie im ersten Augenblick an Ben erinnerte. Beide hatten rabenschwarzes Haar, waren groß und sportlich. Nur charakterlich waren sie grundverschieden. Hannes war ein Draufgänger und Ben der Vorsichtige.
    Sie würde viel besser zu Hannes passen.
    Himmel, was ging nur in ihrem Kopf vor? Sie liebte Ben, nur ihn. Er
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