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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Untermietverhältnis, beim Stillen und der engen Bindung zwischen Mutter und Kind nur Zuschauer, und so beginnt die Grollmühle zu mahlen –, aber Isabel hatte nichts darüber gelesen, dass Mütter eifersüchtig auf ihre Kinder werden könnten. Im Ernst jetzt? Viel Glück bei der Suche nach »Groll, mütterlicher« im Register eines Erziehungsbuchs. Aber warum sollte sie auch nicht eifersüchtig sein? Wenn Alfredo Isabel umarmt, dann steif und irgendwie distanziert, als hätte er eine Erkältung und wollte sie nicht anstecken.
    Sie hat ihm schon so oft gesagt – meistens im Bett, im Dunkeln, wenn es ihr am leichtesten fällt, solche Dinge zur Sprache zu bringen –, dass sie nicht ihm die Schuld gibt für den Vorfall, für das, was ihr passiert ist. Der Mann, der dafür verantwortlich ist, ist dafür verantwortlich. Deutlicher kann sie es nicht formulieren. Aber es gibt Momente, Momente wie diesen jetzt, wenn man ihr Christian Louis buchstäblich abgenommen und ihr Gehirn plötzlich Kapazitäten hat, sich selbst zu attackieren, da kommt sie ins Grübeln, ob sie da nicht vollkommen falsch liegt. Was, wenn Alfredo gar nicht denkt, Isabel würde ihm die Schuld geben? Was, wenn es genau umgekehrt ist? Sein Bruder ist tot, und er gibt ihr die Schuld. Was soll sie dazu sagen?
    Christian Louis sitzt bei seinem Vater auf dem Schoß und rupft Seiten aus einer Zeitschrift. Alfredo sieht mit grenzenloser Nachsicht zu, was nicht nur Isabel aufregt, sondern anscheinend auch den weißen Typen auf dem Cover, einen Zeichentrick-Soldaten, das Gesicht in zähneknirschender Enttäuschung eingefroren. Eine Videospielfigur möglicherweise. Das Heft heißt GamePro , und Alfredo sagt, er muss es abonnieren, weil es in ganz Corona keinen Laden gibt, wo man einfach so hingehen und eine Zeitschrift kaufen kann. Nicht erklärt hatte er allerdings, warum jemand, der selbst kein einziges Videospiel besaß, geschweige denn spielte, das Heft überhaupt haben wollte. Aber Isabel hat da so ihre Theorien.
    Alfredo entwindet Christian Louis eine herausgerissene Seite und hält sie über den Kopf. Das Baby – sorry, das Kleinkind – streckt sich danach. Der Spiel- und Musiktisch von Fisher Price, das Styropor, vergiss es. Diese Seite ist das Einzige, was er will. Er klettert an Alfredos Brust hoch, patscht ihm in die Haare, aber Papi hebt die Seite höher. Er liest, und Isabel stellt sich vor, dass es die Seite mit den Turnierergebnissen ist. Vermutlich sucht Alfredo nach Winstons Namen. Aus für sie unerfindlichen Gründen haben Winston und Alfredo seit über einem Jahr nicht miteinander gesprochen. Wenn beste Freunde sich trennen – kann man es besser ausdrücken? –, dann entweder wegen einer Frau, was in diesem Fall nicht sein kann, weil Isabel diese Frau wäre und Winston, bei Gott, eine Heidenangst vor ihr hat, oder wegen Geld, eine wesentlich näherliegende Erklärung. Wenn auch nicht zwangsläufig die zutreffende. Vielleicht hatte Alfredo irgendwann einfach keinen Bock mehr, Winston davon zu überzeugen, mit den Drogen aufzuhören. Vielleicht ist Winston ein Klotz am Bein, und Alfredo hatte das Gefühl, ihn hinter sich lassen zu müssen, als er seinen alten Lebenstil hinter sich ließ. Vielleicht konnte Alfredo Winston nicht ohne ätzende Schuldgefühle anschauen. (Vielleicht projiziert Isabel hier etwas.) Sie weiß es nicht. Sie weiß nicht, was zwischen den beiden vorgefallen ist, genauso wie sie nicht weiß, was die Klimaanlage gekostet, wo er sie gekauft, wie er sie nach Hause geschleppt oder wo er das Geld dafür herhat. Was sie allerdings weiß ist, dass es, je mehr Fragen sie stellt, umso unwahrscheinlicher wird, dass er sie beantwortet. Sie schaut zu, wie er die Zeitschriftenseite zerknüllt und auf den Boden wirft.
    »Und wer räumt das weg?«, sagt sie.
    »Mach ich gleich.«
    »Und die Kiste auf dem Fußboden? Vielleicht hast du es noch nicht gehört, aber ich muss eine Geburtstagsparty schmeißen.«
    »Und wo sind die Luftballons?«, sagt er, grinst. »Ich dachte, da gehören Luftballons dazu.«
    »Hast du sie noch alle?«, fragt sie. »Weißt du nicht, dass man daran ersticken kann? Ich hatte mal eine Kusine, die …«
    »Keine Ballons?«, sagt Alfredo. »Keine Ballons an seinem Geburtstag?« Er dreht Christian Louis seiner Mutter zu. »Guck mal«, sagt Alfredo. »Guck mal, wie traurig er ist, dass es keine Ballons gibt.«
    Spucke blubbert zwischen seinen Lippen. Er streckt die Arme nach ihr aus – ganz genau, ganz genau, bei
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