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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sieht ihr dabei ins Gesicht. »Ein Weißer. Hab versucht, ihm ne Kerze zu verkaufen, und er hat mich Drecksack genannt. Ist mir richtig auf die Pelle gerückt. Meinte, dass ich das jetzt hier irgendwie ausschlachten würde. Hab echt gedacht, der will mich umbringen. Richtiger Hüne. Dann dachte ich, dass er vielleicht geschickt wurde, um mich umzulegen, verstehst du? Von einem, den mein Bruder kannte. Einem, der Shifrin kannte. Die ganze Zeit denk ich über diesen Scheiß nach. Der Typ steht vor mir und ich so, das war’s jetzt. Jetzt ist es so weit.«
    »Und, hat er?«
    »Mich umgebracht?«, sagt Alfredo. Er schaut an sich hinab, auf seine Arbeitsschuhe, Arbeitshose, Arbeitshemd, als wolle er sich vergewissern, bevor er antwortet. »Nein«, sagt er.
    »Du bist also noch da«, sagt Isabel.
    »Ich bin da.«
    »Und ich bin schwanger«, sagt sie. Sie schaut hinauf zum Himmel. »Meinst du, wir werden heute Nacht Sterne sehen?«
    Alfredo lehnt sich gegen die Mauer hinter ihm. Er bricht nicht an der Mauer zusammen oder prallt dagegen, als hätte er einen Schlag vor die Brust bekommen. Er tut es ganz vorsichtig, beugt den Körper nach hinten an die Ziegel. Er schiebt die Hände tief in die Hosentaschen.
    »Ich glaube, es ist ein Junge«, sagt sie. Sicher ist sie sich nicht. Das neue Baby hat noch nicht begonnen, ihr Geheimnisse ins Ohr zu flüstern, aber sie spürt eine entschieden männliche Präsenz in sich. Sie stellt sich ihn vor – gut sechs Millimeter lang, fast so groß wie ein Glied ihres kleinen Fingers –, wie er die Beinchen von sich streckt, die Hände in den Taschen vergraben, und versucht, cool rüberzukommen, während sich die Gebärmutterwand hinter ihm dehnt. »Willst du einen kleinen Bruder?«, fragt sie Christian Louis. »Willst du einen kleinen Bruder zum rumkommandieren?«
    »Ich glaub, das pack ich nicht«, sagt Alfredo.
    Sie missversteht ihn. Wenn Alfredo sagt, er packe das nicht, meint er, dass er sich dem moralisch nicht gewachsen fühlt. Er hält sich für einen schlechten Menschen – wegen der Dinge, die er getan hat und die er denkt –, einen Mann, der einfach unfähig ist, einen kleinen Jungen aufzuziehen, geschweige denn zwei. Im letzten Jahr ist in seinem interkraniellen Aktenschrank jede einzelne Mappe mit dem beschissenen Vermerk »Und so einer will Vater sein?« versehen worden. Noch mehr Zettel an seinen Akten erträgt er nicht, Zettel, auf denen der Name seines ungeborenen Babys prangt.
    Isabel aber denkt, er rede von Geld. Sie glaubt, er sei der Meinung, von seinem Liftboy-Einkommen keine zwei Kinder großziehen zu können. Daher antwortet sie: »Na klar packen wir das.« Sie reicht ihm das Baby, arrangiert Alfredos Arme so, dass sie sicheren Halt bieten. »Was nimmst du für die Kerzen?«, fragt sie.
    »Fünf Dollar«, sagt er.
    Sie rollt mit den Augen, bückt sich, um ihren Schlüssel und die Kerze aufzuheben, die zwischen den Gehwegplatten gelandet ist.
    »Die behalt ich«, sagt sie und lässt sie in ihre Gesäßtasche gleiten. »Ist mir zugerollt.«
    Christian Louis grabscht nach dem Finger seines Vaters und drückt fest zu. Isabel wendet sich ab. Sie geht zum Bordstein, wo Gehweg und Straße aufeinandertreffen. Menschen kommen und gehen, fächeln sich mit Imbissprospekten Luft zu. Gleich um die Ecke, im Grunde bloß ein paar Meter den Block entlang, liegt ihre Mutter, die Puta, wahrscheinlich in ihrem Sessel, beim Vorabend-Schläfchen, eine weiße Baumwollsocke über den Augen. In wenigen Sekunden wird Isabel Kerzen verscherbeln – die besten Kerzen in ganz Queens – zum Super-Sonder-Blackout-Sparpreis von zehn Dollar das Stück. Und irgendwann, wenn die Nacht hereinbricht und die Straßen dunkel werden, wird ihre Stimme rau werden. Und dann wird Alfredo ihr das Kind in den Arm legen, und sie werden nah beieinanderstehen und sich beim Ausrufen der Preise abwechseln. Aber zuerst, bevor all das kommt, solange ihre Stimme noch kräftig ist, wird Isabel schreien. Ihre Mutter schläft und Isabel will das verdammte Miststück wecken. Sie will Tauben flattern und Gardinen wallen sehen, will das Weinen ihres Babys übertönen, will Schmetterlinge vom Himmel holen, Glas splittern, Eiskugeln aus Hörnchen fliegen und Knöpfe von Hemden platzen lassen, will Ohren zum Bluten und Gebäude zum Bröckeln bringen, will das Kribbeln spüren, das Geklirre hören und sehen, wie die Straßen in Flammen aufgehen. Macht euch bereit. Sie holt tief Luft und formt die Hände vor dem Mund zum
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