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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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di Monserrato, dessen Leiche man unter den Trümmern seines Hauses gefunden hatte. Der, für den Siria sich möglicherweise das Leben genommen hatte. Der Baron trug inzwischen einen Schnauzbart und sah aus wie ein Tatarenreiter. Auch er erkannte Nenè wieder.
    »Ach, du bist es. Buongiorno«, grüßte er und wirkte nicht gerade überrascht.
    »Aber Sie … Sie …«
    Nenè war noch immer fassungslos.
    »Hör zu, ich erklär’s dir. Warte in dem Café da vorne auf mich. Ich fahre nur das Auto an den Straßenrand und komme dann nach.«
    Der Baron humpelte zu seinem Sportwagen, demselben, den er früher gefahren war. Also war das Auto offenbar doch nicht gestohlen worden. Nenè setzte sich an den kleinen Cafétisch. Der Baron ließ sich auf dem Stuhl gegenüber nieder.
    »Was nimmst du?«
    »Einen Orangensaft.«
    Nenè hatte einen trockenen Mund.
    »Ich trinke einen Kaffeeersatz.«
    Der Baron sah Nenè an.
    »Aus deiner Verwunderung schließe ich, dass ich es geschafft habe, euch alle an der Nase herumzuführen.«
    »Das kann man wohl laut sagen. Wissen Sie. dass Siria verschwunden ist, nachdem …«
    »Natürlich weiß ich das. Wir haben einen Treffpunkt ausgemacht, wo ich auf sie gewartet habe, und dann sind wir mit meinem Wagen nach Messina gefahren.«
    »Dann wusste Siria also, dass Ihr Tod eine Finte war?«
    »Sicher wusste sie das! Wir haben uns doch die ganze Sache gemeinsam ausgedacht.«
    Ein Kellner brachte die Getränke.
    »Aber da ich es nicht geschafft habe, die Meerenge zu überqueren«, fuhr der Baron fort, »sind wir hier gelandet. Ein Freund hat mir die Schlüssel für sein Landhaus gegeben, vier Kilometer von Ràghiti. Ich bin nur in die Stadt gekommen, um ein paar Einkäufe zu machen. Hör zu, hast du heute Abend Zeit? Wenn ja, komm doch zu uns zum Essen. Siria wird nicht schlecht staunen.«
    »Nein danke. Ich muss zum Kommando zurück. Aber eines interessiert mich doch: Von wem stammen die menschlichen Überreste, die man in den Trümmern Ihres Hauses gefunden hat?«
    »Ach so, ja. Mein Landaufseher hat sich darum gekümmert. Heutzutage ist es nicht besonders schwierig, eine Leiche aufzutreiben. Wir haben ihr meinen Ring an den Finger gesteckt, damit kein Zweifel aufkommt. Und dann hat mein Landaufseher während der Bombenangriffe mein Haus mit Dynamit in die Luft gejagt.«
    »Verstehe. Aber haben Sie keine Angst, dass der Landaufseher redet?«
    »Was für ein Interesse sollte er daran haben? Ich habe ihm meinen gesamten Besitz zu einem Vorzugspreis verkauft. Wenn das Gesetz oder meine Frau davon erfährt, bekommt er große Schwierigkeiten.«
    »Und wie sehen Ihre Pläne jetzt aus?«
    »Sobald es möglich ist, überqueren wir die Meerenge und fahren in die Schweiz. Dort habe ich mehr Geld als genug.«
    Er stand auf und suchte in seiner Tasche nach ein paar Münzen.
    »Ich zahle«, sagte Nenè.
    Zum Abschied gaben sie sich die Hand.
    »Und bitte: kein Wort zu irgendjemandem«, sagte der Baron.
    »Seien Sie unbesorgt. Und viele Grüße an Sir …, an Ihre Frau.«
    »Ich werde es ausrichten.«
     
    Inzwischen schlief Nenè jede Nacht so fest, als wäre er bereits tot. Seine Knochen waren müde von der schweren körperlichen Arbeit. In der Nacht vom achten auf den neunten Juni weckte ihn der Matrose, der auf der Pritsche neben ihm schlief. »Die Amerikaner sind gelandet.«
    »Wo?«
    »Zwischen Gela und Licata.«
    Nenè trug noch die Kleider vom Vorabend, da er nicht die Kraft gehabt hatte, sich umzuziehen, bevor er sich aufs Bett gelegt hatte, und sofort eingeschlafen war. Er stand auf und ging quer durch den Raum zur Tür. Die anderen hatten bereits von der Landung der Amerikaner erfahren und waren hellwach. Am Ausgang des Bunkers blickte Nenè sich um, konnte aber keine Wachposten sehen. Er trat ins Freie – wegen der explodierenden Bomben war es taghell. Nenè zog die Binde ab und ließ sie einfach fallen. Er war dabei zu desertieren, aber es kümmerte ihn einen Dreck. Leichten Schrittes und mit der festen Überzeugung, dass keine Bombe, kein Geschoss, kein Splitter ihn treffen würde, ging er durch die Straßen. Kein Mensch war zu sehen. Er ließ Ràghiti hinter sich und ging immer weiter, bis er auf die Straße kam, die zu dem Dorf führte, wo seine Familie untergebracht war. Italienische Soldaten nahmen ihn im Morgengrauen mit ihrem Lastwagen ein Stück mit. Doch den Lastwagen sollte es nicht mehr lange geben: Sie wurden von zwei Flugzeugen unter Beschuss genommen, und das Fahrzeug brannte
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