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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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Schuljahres abgelegten Prüfungen ab, ob sie bestehen oder durchfallen würden.
    Schließlich fielen aber auch diese Prüfungen aus, weil die Amerikaner und Engländer die Insel Pantelleria besetzt hatten. Der ferne Kanonendonner drang an manchen Vormittagen bis in den Klassenraum, dann unterbrach die Lehrerin für einen Augenblick den Unterricht. Die Klasse lauschte mucksmäuschenstill dem dumpfen Rollen und fürchtete, die amerikanischen und englischen Soldaten stünden gleich vor der Tür.
    Am siebenundzwanzigsten Mai um zehn Uhr vormittags sah man über Vigàta zehn Flugzeuge, die Bomben auf die Stadt warfen.
    Don Filippo Tarella, hauptverantwortlicher Kassierer des Banco Siculo, blieb tapfer, wo er war, während der Direktor und die anderen Angestellten in die Luftschutzräume flohen. Nach nicht einmal fünf Minuten flog die Tür auf, und ein Mann mit einem roten Taschentuch vor dem Gesicht hielt Don Filippo einen Revolver vor die Nase.
    »Das hat uns gerade noch gefehlt!«, sagte Don Filippo nervös. Der Fußboden bebte schon im Bombenhagel. »Was willst du? Der Tresor ist abgeschlossen, und der Direktor hat den Schlüssel mitgenommen.«
    »Gib mir alles, was du greifbar hast«, sagte der Mann.
    Don Filippo dachte einen Augenblick nach.
    »Greifbar habe ich sechstausendsiebenhundertfünfzig Lire. Reicht dir das?«
    »Ja, das reicht.«
    Der Kassierer reichte ihm die Geldscheine.
    »Danke«, murmelte der Mann in sein Taschentuch.
    »Immer zu deinen Diensten«, sagte der Kassierer.
    Der Mann drehte sich auf dem Absatz um und war wieder verschwunden.
    Am selben Nachmittag suchte der Kassierer Don Filippo den Cavaliere Firruzza auf.
    »Haben Sie schon gehört, Cavaliere? Heute Vormittag hat es in unserer Bank einen Überfall gegeben. Ein Mann hat mich mit einem Revolver bedroht und alles Geld gefordert, das verfügbar war: sechstausendsiebenhundertfünfzig Lire.«
    »Das tut mir leid. Aber warum erzählen Sie mir das?«
    »Weil der Mann, der mich ausgeraubt hat, Ihr Sohn Giugiù war.«
    »Was sagen Sie da? Wie können Sie nur denken, dass mein Sohn …«
    »Cavaliere, ich lege meine Hand dafür ins Feuer. Ich kenne Ihren Sohn seit seiner Geburt. Ich weiß, wie er geht und wie er redet.«
    »Warten Sie einen Augenblick«, sagte der Cavaliere, dem plötzlich etwas einfiel. Er stand auf, lief in sein Schlafzimmer und öffnete die Schublade des Kleiderschranks. Der Revolver, den er dort seit Jahren in einem Schuhkarton aufbewahrte, war nicht mehr da. Mit hängenden Schultern kam er zurück in sein Büro und sank auf den Stuhl.
    »Wollen Sie ihn anzeigen?«, fragte er mit gesenktem Kopf.
    »Nein«, sagte der Kassierer. »Wenn Sie mich bevollmächtigen, die gleiche Summe von Ihrem Konto abzuheben, sage ich niemandem ein Sterbenswort. Immerhin war ich allein, als der Überfall stattfand. Und ich kann schweigen wie ein Grab.«
    »Danke«, sagte der Cavaliere.
    Der ersten Person, der er begegnete, als er das Haus des Cavaliere verlassen hatte, berichtete Don Filippo ausführlich die Geschichte mit dem Überfall. Am selben Nachmittag übergab Giugiù das Geld Don Stefano, der einen Blick auf den Kalender warf und dann eine schnelle Rechnung aufstellte.
    »Du fängst ab heute an?«
    »Ja.«
    »Dann ist Lulla bis zum Siebenundzwanzigsten dein. Du darfst von sechs bis Mitternacht in der Pension sein, aber schlafen darfst du dort nicht. Und ihr müsst in der Pension bleiben. Auch montags würde ich sie an deiner Stelle nicht mitnehmen, da ist Ruhetag. Je weniger ihr euch in der Öffentlichkeit blicken lasst, umso besser. Und damit das klar ist: Wenn du mir am Siebenundzwanzigsten nicht denselben Betrag noch einmal zahlst, wird Lulla wieder andere Kunden empfangen.«
    Anfang Juni wurden die Ergebnisse der Prüfung bekannt gegeben. Nenè, Ciccio und Jacolino hatten bestanden und gaben ein großes Fest in der Pension. Auch Lulla nahm daran teil, Giugiù allerdings fehlte.
    »Du siehst traurig aus, Lulla«, sagte Nenè nach dem Essen. »Aber Giugiùs Idee geht doch auf, oder?«
    »Sicher, im Moment. Aber was wird am Achtundzwanzigsten sein, wenn Giugiù Don Stefano das Geld für einen weiteren Monat nicht geben kann?«
    »Hat er denn Probleme, das Geld aufzubringen?«
    »Natürlich, er hat überhaupt kein Geld.«
    »Aber er hat es doch bereits einmal beschafft. Bekommt er das nicht ein zweites Mal hin?«
    »Dazu fehlt ihm der Mut, sagt er. Und mir graust davor, weiterzumachen wie davor. Allein bei dem Gedanken an einen anderen Mann
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