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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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Mongitore. Nun, da seine Wut verflogen war, war er geradezu vergnüglich gestimmt, denn der Cavaliere Firruzza war ihm schon immer unsympathisch gewesen.
    Er erzählte ihm ausführlich die ganze Angelegenheit. Der Gehilfe des Notars musste dem Cavaliere ein Glas Wasser bringen, weil der drauf und dran war, ohnmächtig zu werden. Wie war das nur möglich? Sein Sohn Giugiù, ein Engel auf Erden, prügelte sich in einem Bordell? Was war mit dem armen Jungen nur geschehen? Was war in ihn gefahren? Erfüllte sich ein schrecklicher Fluch, den jemand gegen ihn ausgestoßen hatte? Was Mongitore gesagt hatte, ließ ihn hellhörig werden:
    »Er hat gesagt, er sei in eine andere verliebt. Nicht auszudenken, dass er wegen so einem Weibsbild den Verstand verloren hat.«
    Noch am selben Abend bekam der Cavaliere vierzig Grad Fieber. Als seine Frau ihm die kalten Lappen auf der Stirn wechseln wollte, wehrte er sich mit Händen und Füßen.
    »Lass das eine Frauenhand machen«, sagte sie sanft.
    Da stieß der Cavaliere seine Frau von sich, riss sich die Lappen von der Stirn, richtete sich im Nachthemd auf und brüllte:
    »Raus hier! Sofort! Du und deine verfluchten Weiberhände!«
    Am nächsten Tag ging es dem Cavaliere besser, und er suchte Don Stefano Jacolino auf, den Besitzer der Pension.
    »Don Stefano, wissen Sie, ob mein Sohn sich mit einem der Weibsbilder aus der Pension eingelassen hat?«
    »Nein, ich weiß von nichts.«
    In Wirklichkeit wusste er alles. Signora Flora hielt ihn schließlich immer auf dem Laufenden. Nachdem ihm der Cavaliere, den Schweiß auf der Stirn, die ganze Geschichte erzählt hatte, sagte Don Stefano nur:
    »Ich werde mich erkundigen.«
    »Danke. Und dürfte ich Sie um einen Gefallen bitten? Wenn die Sache stimmt, würden Sie dieses Weibsbild bitte entfernen lassen?«
    Don Stefanos Augen verengten sich zu Schlitzen.
    »Was meinen Sie mit ‹entfernen›?«
    »Schicken Sie sie fort.«
    »Und wohin? Wir bekommen nicht mehr alle zwei Wochen neue Mädchen. Ich kann sie nicht einfach durch eine andere ersetzen.«
    »Wenn Sie sie nicht ersetzen können, müssen Sie sie eben entlassen.«
    Don Stefano fing an zu lachen.
    »Und wieso sollte ich einen solchen Verlust in Kauf nehmen? Etwa, weil Sie ein so hübsches Gesicht haben? Und wollen Sie mir mal erklären, welchen Grund ich dem Mädchen nennen soll?«
    »Sagen Sie ihr, sie sei schuld daran, dass mein Sohn sich in sie verliebt hat!«
    »Cavaliere, bitte erlauben Sie mir, Klartext mit Ihnen zu reden. Was kann das Mädchen dafür, dass Ihr Sohn ein Idiot ist?«
    Verzweifelt ging der Cavaliere zum Maresciallo bei den Carabinieri.
    »Wie kann ich Ihnen helfen, Cavaliere?«
    »Ich will dieses Weibsstück anzeigen und ins Gefängnis bringen!«
    »Aber das können Sie nicht.«
    »Und wieso nicht?«
    »Weil diese Frau nichts Unrechtes getan hat.«
    »Dann verbieten Sie meinem Sohn, sie zu treffen!«
    »Auch das kann ich nicht. Ihr Sohn ist volljährig.«
    Da bekam der Cavaliere einen furchtbaren Wutanfall. Sein Gesicht verfärbte sich blau-violett, und seine Hand zitterte, als er mit dem Zeigefinger auf den Maresciallo deutete und brüllte:
    »Jetzt habe ich verstanden! Ihr habt euch abgesprochen! Zuhälter und Carabinieri, ihr steckt doch alle unter einer Decke!«
    Der Maresciallo, ein tüchtiger, anständiger Mann, der nicht viel auf Worte gab, überhörte die Beleidigung. Es gelang ihm, den Cavaliere zu beruhigen, indem er ihm versprach, mit Giugiù zu reden, inoffiziell selbstverständlich. Als er dem missratenen Sohn ein paar Tage darauf auf der Straße begegnete, winkte er ihn zu sich und zog ihn unauffällig in einen Hauseingang, damit niemand sie sehen konnte.
    »Ja, willst du denn deinen Väter tot sehen?«, fragte er ihn.
    Und Giugiù fing an zu weinen.
    »Nein, nein! Aber ich kann es doch nicht ändern, Marescià! Ich bin dagegen machtlos! Ich kann ohne Lulla nicht mehr leben! Sie ist ein gutes Mädchen, Marescià! Sie ist tüchtig und gut!«
    Das war durchaus möglich. Wer sagte denn überhaupt, dass Huren alle anstandslose Weiber waren? Der Maresciallo hatte selbst einmal gesehen, wie eine Hure sich ins Meer warf, um einen kleinen Jungen vor dem Ertrinken zu retten, und wie eine andere Geld für irgendeinen armen Teufel sammelte, der kurz davor war, an Hunger zu sterben, und wie …
    Da fragte er leise:
    »Und sie … liebt sie dich denn?«
    »Ja, sehr.«
    »Da kann ich dich nur beglückwünschen«, sagte der Maresciallo, und damit war das Gespräch
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