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Die Pension Eva

Die Pension Eva

Titel: Die Pension Eva
Autoren: Andrea Camilleri
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Bestellung ging am folgenden Sonntag, als die drei Freunde im Café Castiglione gegenüber dem Rathaus eine Granolata tranken, ein Bombenhagel auf die Stadt nieder.
    »Lasst uns schnell in den Luftschutzraum, das ist gefährlich«, rief Jacolino.
    »Halt«, sagte Ciccio.
    Die Erde begann schon zu beben, grauer Qualm drang aus der Straße hinter dem Café; ein paar Häuser mussten getroffen worden sein. Auf der Straße war keine Menschenseele mehr zu sehen. Eine weitere Bombe legte zwanzig Meter entfernt einen Palazzo in Schutt und Asche. Überall war Rauch, sie mussten husten und meinten zu ersticken.
    »Weg hier, sonst hat unser letztes Stündlein geschlagen!«, rief Jacolino aufgebracht.
    Da ging Ciccio ruhigen Schrittes über den Platz zu den Kolonnaden des Rathauses, blieb dort stehen, zog sich die Hose runter, hockte sich hin und gewann inmitten des Infernos, während Splitter, Steine, Ziegelwerk, Mörtel, Stuhl- und Tischbeine durch die Luft flogen, seine Wette.
    »Ich widme meine Scheiße dem Krieg!«, rief er jedem und keinem zu, als er wieder aufstand. Und es klang keineswegs wie eine Provokation, sondern wütend und verzweifelt.
     
    Es wurde immer schwieriger, etwas zu essen zu finden. Die Fischer fuhren nicht mehr so häufig aufs Meer hinaus, sie hatten Angst vor den Minen und Bomben. Das Brot, das man gegen Marken bekam, war grünlich und verschimmelt. Wenn man eine Krume zu einer Kugel formte und gegen eine Mauer warf, blieb sie dort haften, als hätte man sie angeklebt. Olivenöl war nirgends mehr zu bekommen, von Fleisch ganz zu schweigen. In der Pension Eva gab es manchmal Oliven, Sardellen und Käse, dazu zwei große geröstete Scheiben Brot, das Jacolino wie durch ein Wunder aufgetrieben hatte. Woran es aber nie fehlte, war Wein. Die Verbindungen, die manche Kunden nun zu den Mädchen der Pension unterhielten, glichen fast ein bisschen einer Ehe. Die Stammkunden wählten gerne bei jedem Besuch dasselbe Mädchen aus. So zum Beispiel Michele Testagrossa, ein etwa fünfzigjähriger Tischler. Er kam dienstags und samstags und ging für dreißig Minuten mit Carmen aufs Zimmer. Nicola Parrinello ging mittwochs und freitags mit Liuba aufs Zimmer. Doch Liuba hatte auch ein sehr enges Verhältnis zu Don Stefano Milocca, der mit seinem Köfferchen aus Montelusa anreiste. Er hatte mit Signora Flora einen Preis ausgehandelt, schloss sich mit dem Mädchen im Zimmer ein und kam erst zur Sperrstunde wieder heraus.
    »Jetzt erklär mir doch bitte mal eins, Liuba. Dieser Don Stefano ist bereits über sechzig. Du willst mir doch nicht sagen, dass er die ganze Zeit mit dir …«
    Nenès Frage brachte Liuba zum Lachen.
    »Aber wo denkst du hin? Das würde ihm im Traum nicht einfallen.«
    »Nicht? Und was tut er dann?«
    »Also: Sobald wir uns nackt ausgezogen haben, öffnet er sein Köfferchen und holt ein Nonnen- und ein Priestergewand heraus. Dann verkleiden wir uns, und er beichtet.«
    »Was heißt das, er beichtet? Er nimmt dir die Beichte ab!«
    »Aber woher denn? Er verkleidet sich als Nonne, und ich nehme ihm die Beichte ab. Wenn du wüsstest, was er für eine Phantasie hat! Er redet stundenlang, erzählt mir, dass der Teufel ihm gelegentlich einen Besuch abstattet, ihm ihn immer wieder hinten reinsteckt und dann unglaubliche Dinge von ihm verlangt. Oder dass die Mutter Äbtissin es bei ihm versucht hat und er ihr den Wunsch nicht abschlagen wollte; solche Sachen eben. Wenn er dann ins Detail geht, verschlägt es mir manchmal die Sprache.«
     
    Baron Giannetto Nicotra di Monserrato war um die vierzig. Geld hatte er mehr als genug, außerdem besaß er Ländereien und Häuser in Palermo und Vigàta, die seine Frau Agatina als Mitgift mit in die Ehe gebracht hatte. Sie war erschreckend hässlich und die Tochter eines steinreichen Kaufmanns, der ihr unbedingt einen Adelstitel hatte kaufen wollen. Der Baron hatte eingewilligt, weil er ein Frauenheld war und daher immer viel Geld brauchte. In den Krieg war er nicht gezogen: Im Alter von fünfzehn Jahren hatte er einen Reitunfall gehabt und humpelte seitdem. Er war nach Vigàta gekommen, um sich um den Verkauf eines Grundstücks zu kümmern. Am dritten Tag seines Aufenthaltes in der Stadt ging er in die Pension Eva und wurde in einem der beiden Privatsalons empfangen. Dort lernte er Siria kennen. Am nächsten Abend kam er wieder, und von da an besuchte er Siria jeden Abend. Er fuhr in seinem Sportwagen vor, einem der wenigen Autos, die man noch auf der Straße sah,
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