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Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Autoren: Alison Croggon
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konnte sie nicht hören; ein Sturm der Dunkelheit tobte um ihre Ohren, ließ sie taub werden.
    Dann erblickte sie etwas, das sie nicht verstand. Sie blinzelte und sah erneut hin: Ein silbriges Licht durchdrang die Dunkelheit, und der gewaltige Druck hob sich hinfort. Es schien, als würde die Finsternis von tausenden unsichtbaren Händen berührt, die einen kurzzeitig schimmernden Abdruck darauf hinterließen wie ein Atemhauch auf kaltem Glas. Einen Augenblick staunte Maerad über die Seltsamkeit dessen, was sie sah, dann verstand sie es: Es waren die Toten, die Sharmas Schatten berührten, und wo sie die Hände hinlegten, wurde er schwach und zog sich zurück. Darob erinnerte sie sich daran, dass Sharma den Tod mehr als alles andere fürchtete. Nun waren jene, die er getötet hatte, gekommen, um ihn mit ihrem Tod zu berühren. Sie spürte sein Grauen, seine Angst, als tausende Tote ihre Geisterhände auf ihn legten, und ihr Herz erfüllte sich mit einer plötzlichen Hoffnung. Die Musik wurde klarer; Hem stand aufrecht neben ihr und hielt die Stimmgabel hoch, und die Akkorde tauchten in ihrem Geist auf, lieblich und wild, so, wie sie gespielt werden sollten.
    Sie schaute zum Mond empor, der tief am Horizont wie ein Teich geschmolzenen Silbers schimmerte. Die Worte der Strophe strömten in ihren Geist; Maerad öffnete den Mund und sang die erste Zeile der Strophen des Mondes. Anfangs zitterte ihre Stimme und erklang zögerlich, doch während Maerad sang, wurde sie stärker, bis sie mit einer Macht größer als die jeder sterblichen Stimme über die Ebene hallte:
     
    »Ich bin der Tau auf jedem Hügel
    Ich bin die Saat in jedem Schoß
    Ich bin die Frucht jedes Astes
    Ich bin die Schneide jedes Messers
    Ich bin der Angelpunkt jeder Frage.«
     
    Nachdem sie die letzte Zeile gesungen hatte, setzte sie ab und wartete darauf, dass die Musik ihr die Akkorde des restlichen Liedes offenbarte. Dabei strich sie jedoch weiter unablässig über die Leier, sodass die Melodien der Mondstrophen über der Elidhu-Musik erschollen. Und ihr schien, der Mond wäre vom Himmel herabgerufen worden und stünde vor ihr im spärlichen Gras. Geblendet blinzelte sie, und Hem verbarg das Gesicht.
    Es war Ardina, aber Maerad hatte sie noch nie in dieser Gestalt gesehen. Ihre Schönheit erschütterte Maerads Herz mit Grauen. Ihr Haar schien lebendig zu sein, als umgäbe ihren Kopf ein Kranz zischender Schlangen, und sie gleißte mit einem schrecklichen Zorn. Sie trug einen Helm und eine Rüstung aus leuchtendem Silber, und in beiden Händen hielt sie lange Klingen, die so grell blitzten, dass Maerad sie nicht ansehen konnte. Als sie sprach, ertönte ihre Stimme kalt. »Sing für meinesgleichen, Elednor«, sagte sie. »Hab keine Furcht. Ich werde dich beschützen.«
    Darauf wusste Maerad die Akkorde, und sie sang, wie Ardina es wollte:
     
    »Ich bin das Lied der sieben Zweige
    Ich bin die hochschäumende Gischt und die Wasser darunter
    Ich bin der Wind und was vom Wind getragen wird
    Ich bin die herabfallenden Tränen der Sonne
    Ich bin der zum Fels aufsteigende Adler
    Ich bin alle Richtungen über das Antlitz der Wasser
    Ich bin die blühende Eiche, welche die Erde verwandelt
    Ich bin der blitzende Pfeil der Vergeltung
    Ich bin die Rede des Lachses in dem eisigen Teich
    Ich bin der Saft, der den blattlosen Zweig aufrichtet
    Ich bin die Stimme des Jägers, die durch das Tal hallt
    Ich bin der Mut der verzweifelten Hindin
    Ich bin der gehortete Honig in dem verlassenen Stock
    Ich bin die sich endlos brechenden traurigen Wellen
    Die Saat des Kummers schläft in meiner Dunkelheit und die Saat der Freude.«
     
    Während sie Strophe um Strophe sang, beobachtete sie voll Staunen, wie Hunderte von Gestalten auf dem verwaisten Moor vor ihr erschienen: Die Elidhu von EdilAmarandh kamen, um ihr Lied zurückzufordern. Die Strophen des Frühlings beschworen Kreaturen wie Wasserfälle herbei, die endlos durch die Luft purzelten, und zierliche Mädchen gleich Jungbäumen, gekrönt mit Apfel-und Kirschblüten, eine trächtige Hirschkuh, Schwalben, deren Schwingen Sonnenlicht umrandete. Die Sommerstrophen riefen einen Adler mit Federn aus Flammen, einen Mann, der so hoch aufragte wie ein Baum und dessen Haar Blätter waren, einen goldenen Stier, eine Wolke mit Augen und einem Mund, ein Wildschwein mit mächtigen Hauern. Und es waren viele mehr, alle so völlig verschieden, dass Maerad sie kaum zu begreifen vermochte, doch jeder mit denselben geschlitzten gelben
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