Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Autoren: Alison Croggon
Vom Netzwerk:
Augen der Elidhu. Mehr und mehr kamen, und sie erhoben die Stimmen, um mit Maerad zu singen, auf dass der Chor anschwoll und sich vertiefte; aber immer noch erscholl Maerads Stimme über allen anderen.
    Dann schlug sie die Akkorde für die Winterrunen an, und unmittelbar vor ihr stand Arkan, die Stirn mit Eisdiamanten gekrönt. Stolz hob Maerad den Kopf und begegnete seinem Blick, während sie sang, und er lächelte so strahlend wie die auf Schnee gleißende Wintersonne, und seine Augen galten nur ihr. In jenem Augenblick kannte sie keinerlei Bedauern, und ihr Herz flatterte wie ein Vogel, der sich in die höchsten Gefilde des Himmels vorwagt. Die Musik stieg in ihr auf, und die Stimmen der Elidhu verliehen ihr Flügel, und sie wusste, es war nicht sie, Maerad, die sang, sondern all die strahlende und wilde Schönheit der Welt, deren Lied hier ertönte. Maerad beschlich das Gefühl, selbst eine Elidhu zu sein, mit den Elidhu durch deren fließende, sich stetig wandelnde Welt zu fliegen, und sie hatte nie eine solche Glückseligkeit wie in diesen Augenblicken gekannt.
    Als sie die letzte Strophe erreichte, strahlten ihre Leier und die Stimmgabel grell wie die Sonne selbst. Sie sang das letzte Wort, und ein gewaltiges Licht sprang auf die Elidhu zu, erfüllte sie mit einem blendenden Gleißen, das in Maerads Augen brannte. Und während sie das Schauspiel beobachtete, wurden ihre Gestalten verschwommen und begannen fortzufließen. Nur noch wenige Akkorde verblieben, ehe der Gesang endete, und Maerad spielte sie, schluchzend ob des Verlusts dieser innigen Lieblichkeit, und sie flehte die Elidhu an, sie nicht zurückzulassen. Aber als ihre Hände die abschließenden Akkorde des Baumlieds zupften, verschwanden die letzten Elidhu vor ihren Augen, und die Musik, die sie emporgehoben hatte, auf dass sie zwischen den Sternen schwebte, setzte sie behutsam auf dem harten Boden ab und verließ sie.
    Ohne Überraschung stellte Maerad fest, dass die ins Holz geschnitzten Runen verschwunden waren, als hätte es sie nie gegeben, und dass sie nur noch die schlichte Leier in den Händen hielt, die das Instrument immer zu sein geschienen hatte. Verlassen stand sie in der großen Ode, die Leier vergessen in ihrer Hand, erfüllt von einem Sehnen nach den letzten Noten der Musik der Elidhu, die über ihr Spiel hinaus erklang, ein Widerhall unerträglicher Schönheit, ehe sie in Stille überging.
    Doch die Stille war nicht das Ende. Denn als die Musik erstarb, erschien es Maerad, als begönne sie, sich mit ihr aufzulösen, als zerreiße sie ihr Sehnen nach den Elidhu, als wäre sie eine Spule, die sich drehte und drehte, während ihr der Faden ihres Selbst entzogen wurde. Sie ließ die Leier fallen und schlang die Arme um sich, als könnte sie sich zusammenhalten, aber sie drehte sich schneller und schneller, und ihr gesamtes Selbst wirbelte hinfort; und es war der größte Schmerz, den sie je erfahren hatte. Wie aus weiter Ferne vernahm sie einen gewaltigen Schrei, den sie als Sharmas Stimme erkannte, und sie wusste, dass ihm dasselbe widerfuhr. Sie begriff, dass Sharma sich auflöste, dass der Bindungszauber letztlich zerbrochen war, dass der Namenlose und all seine Macht von der Welt gefegt wurden. Und während es mit ihm geschah, geschah es auch mit ihr, und sie erkannte unter verbitterten Qualen, dass Sharma recht gehabt hatte, als er zu ihr sagte, sie würde alles verlieren.
    Maerad verspürte keinen Triumph, kein Gefühl vollbrachter Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung. Alles, was sie fühlte, war die unsägliche Pein ihres Verlusts, und sie begriff, dass in dem Schrei, den sie hörte, auch ihre eigene Stimme mitschwang, in jenem Schrei, der kein Ende zu nehmen schien, während ihr Geist in Stücke gerissen wurde, das Fleisch von ihren Knochen abfiel, ihre Knochen in Splitter gefetzt wurden und alles, als was sie sich je gekannt hatte, aufgelöst und ihr entzogen wurde, hinein in eine mächtige lodernde Leere; zugleich strömte heulend wie ein gnadenloser Wind eine Schwärze durch sie hindurch, bis nichts mehr von dem übrig blieb, was sie war, was sie sein könnte, was sie je sein würde. Dann erkannte sie, dass sie trotz allem noch da war. Sie lag auf dem harten Boden; ihr war sehr kalt, und ein Stein hatte ihr die Wange aufgeschnitten. Blut kitzelte sie, als es ihr über das Gesicht rann. Hems Arme waren um sie geschlungen, und er schluchzte vor inbrünstigem Kummer, weil er dachte, sie wäre tot. Maerad rührte sich und setzte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher