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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir
Autoren: Nazneen Sheikh
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Einleitung
    In Kaschmir und Pakistan aufgewachsen, verbrachte ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens bei Menschen, die das Kochen und das Essen als eine der größten Freuden ansahen. Die köstlichen Speisen, die sie zauberten, überzeugten mich schon bald davon, dass sie Recht hatten. Meine Verwandten necken mich noch heute damit, dass man mir als Kleinkind einfach alles vorsetzen konnte und dass man mir mit einem meiner Lieblingsgerichte eine weit größere Freude machen konnte als mit einem neuen Spielzeug. Meine Kindheit ist also der Grund dafür, dass mich das Thema »Kochen und Essen« ein Leben lang nicht mehr losgelassen hat, ebenso wie die Mitglieder meiner Familie nicht aufhören, mich zu faszinieren. Ich habe oft das Gefühl, dass sie genauso gut Figuren aus jenen Büchern sein könnten, die ich in meiner Kindheit geradezu verschlang. Figuren, deren romantisches und abenteuerliches Leben durch ihre erstaunliche Kochkunst, die sie so mühelos beherrschten, noch interessanter wurde.
    Als ich erwachsen wurde, weitete sich mein Horizont. Schließlich ließ ich mich in Kanada nieder, in meinen Gedanken kehrte ich jedoch immer wieder zu den Speisen meiner Kindheit zurück. Ich nahm mir vor, die Küche meiner inzwischen betagten Verwandten in ihrer ganzen Pracht und Vielfalt zu bewahren und so ihr kulturelles Erbe, das eng mit der politischen Geschichte zweier benachbarter Nationen verknüpft ist, wieder zum Leben zu erwecken. Ich hoffte, dass die Geschichte kaschmirischer Speisen ein Trost für jene Mitglieder meiner eigenwilligen Familie wäre, die bei der Teilung Indiens im Jahre 1947 ihre Heimat verloren. Das Gefühl dieses Verlusts, das von ihnen wie eine Tapferkeitsmedaille getragen wurde, schwand nämlich stets, wenn das Essen aufgetragen wurde.
    Ich selbst wurde in Kaschmir geboren, wuchs aber in Pakistan auf, wo über das ganze Land verstreut viele Verwandte von mir lebten. Dennoch vermittelten mir sowohl die Geschichte des Landes, in dem ich lebte, als auch meine Herkunft aus Kaschmir während meiner gesamten Kindheit das Gefühl, als wäre ich bei meiner Geburt von einer Zwillingsschwester getrennt worden. Meine Eltern erzählten mir immer wieder, dass es zwei Kaschmirs gebe. Das eine liege in Pakistan und sei das falsche, während das andere, das echte Kaschmir, wo ich geboren sei, zu Indien gehöre. Einige meiner Verwandten waren in dem von Indien beherrschten Kaschmir zurückgeblieben, da sich meine Eltern jedoch aktiv am Kampf um die Unabhängigkeit von Großbritannien und Indien beteiligt hatten, ging meine Familie nach Pakistan. Ich erinnere mich, dass ich als Kind nicht ganz verstand, warum sie das echte Kaschmir verlassen hatten.
    Indien, ein Land, in dem viele Hindus und vergleichsweise wenige Moslems lebten, war kurz zuvor in zwei Staaten geteilt worden. Die Provinzen mit überwiegend moslemischer Bevölkerung bildeten dabei den neuen Staat Pakistan, Kaschmir war ein integraler Bestandteil dieses Landes. In den Wirren des Bürgerkriegs ging Kaschmir dann jedoch irgendwie verloren. Meine Familie gehörte zu jenen Menschen aus Kaschmir, die fest davon überzeugt waren, dass ihr Aufenthalt in Pakistan nur vorübergehend sei und dass sie eines Tages nach Srinagar, in ihre Heimatstadt, zurückkehren würden. Stattdessen wurden jedoch die Grenzen beider Länder gesperrt, und so konnte meine Familie nicht mehr zurück.
    Ich habe dieses Buch geschrieben, weil die Speisen, die in meiner Familie gekocht wurden, keine Grenzen kennen. Sie sind von magischen Zutaten erfüllt und mit Sehnsucht, Liebe und Geschichte gewürzt. Meine Familie folgte mit ihrer Art zu kochen den Traditionen und Regeln einer der großen Küchen der Welt, nämlich der Küche der Moguln. Die Moguln, Nachkommen von vier zentralasiatischen Völkern - den Mongolen, Persern, Afghanen und Türken - herrschten einst über Indien und waren vor vielen Generationen die Stammväter meiner Vorfahren.
    Das Reich der Moguln wurde von dem leidenschaftlichen Wunsch dominiert, sowohl Schönheit zu schaffen wie auch das sinnliche Vergnügen zu steigern. Die Kochkunst und die bildenden Künste, Architektur, Philosophie und Dichtung erlebten unter der Herrschaft erklärter Kunstmäzene ihre Blütezeit. Bibliotheken wie jene, die der Großmogul Akbar erbauen ließ; die von Großmogul Dschahangir in Auftrag gegebenen Brunnen,
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