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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Autoren: Kai Meyer
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Und hatte ich mich damit nicht selbst in den Dienst des schrecklichen Götzen begeben, war zum Sklaven eines fremden, bösartigen Gottes geworden?
    Faustus sagte etwas in einer Sprache, die ich zuvor nie gehört hatte. Ägyptisch, vermutete ich.
    Der Mann am Boden bäumte sich ein letztes Mal auf, dann erschlafften seine Bewegungen. Seine Augen waren nach wie vor von marmornem Weiß, Iris und Pupille blieben verschwunden. Sein Adamsapfel zuckte, so als stiege etwas aus seiner Kehle empor. Ich unterdrückte den Drang, mich zu bücken, als der Unterkiefer des Ägypters aufklappte, um dem, was in ihm war, den Weg ins Freie zu bahnen.
    Aber es war nur ein tiefes Grollen, das über seine Lippen kam, ein dunkler, furchtbarer Laut, der selbst Angelina nach meiner Hand greifen ließ.
    Faustus ging rasch in die Hocke und drückte dem Ägypter beide Handflächen auf den Brustkorb, schloss dabei die Augen und murmelte unverständliche Silben.
    Als er die Lider wieder aufschlug, bat er die Soldaten, den Besessenen freizugeben. Doch die Männer dachten nicht daran, ihm zu gehorchen. Einer trug einen tiefen Kratzer auf der Wange, der andere hatte ein geschwollenes Auge – um nichts in der Welt würden sie den Mann, der ihnen diese Verletzungen beigebracht hatte, loslassen. Schon gar nicht auf Wunsch eines anderen Gefangenen.
    »Kerkermeister!«, rief Faustus über seine Schulter. »Gebt diesen Männern Befehl, sich zurückzuziehen.«
    Der Kerkermeister atmete scharf aus. »Ist das wirklich nötig?«
    »Ich würde Euch sonst nicht darum bitten.«
    »Aber der Gefangene …«
    »Wird ruhig bleiben. Darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort.«
    »So geht Ihr sehr vorschnell mit Eurem Ehrenwort um«, entgegnete der Kerkermeister mit zweifelndem Blick auf den Ägypter.
    »Ihr müsst mir vertrauen.« Faustus’ Tonfall klang eine Spur schärfer. »Sonst hättet Ihr mich nicht um meine Hilfe bitten brauchen.«
    Der Kerkermeister überlegte einen Augenblick, dann gab er den Soldaten einen Wink. Mit verständnislosen Mienen zogen sich die drei von dem Ägypter zurück. Wie mein Meister gesagt hatte, blieb der Mann vollkommen reglos am Boden liegen. Allein der Schaum rann weiter aus seinen Mundwinkeln.
    Die Soldaten gesellten sich zu ihrem Vorgesetzten.
    »Sie sollen die Kammer verlassen«, verlangte Faustus, ohne die drei eines Blickes zu würdigen.
    Der Kerkermeister seufzte und schickte die Soldaten hinaus. Ich sah, wie sie vor der Zelle Stellung bezogen, gemeinsam mit dem vierten Wächter, jenem, der uns hergeführt hatte.
    Faustus erhob sich und trat dem Kerkermeister gegenüber. »Ich werde diesen Mann von seinem bösen Geist befreien«, sagte er. »Denn Ihr hattet Recht, Kerkermeister – euer Gefangener ist tatsächlich das Opfer einer Besessenheit.«
    Der Soldat wurde kreidebleich, als ihm klar wurde, was das zu bedeuten hatte: Der Teufel selbst – oder einer seiner Diener – war in seinen Kerker eingedrungen und trieb nun sein Unwesen unter den Bleidächern. Wie sollte er das seinen Herren erklären, oder gar, schlimmstenfalls, dem Dogen persönlich? Die Axt des Scharfrichters war in Venedig stets gut geschliffen, jeder wusste das, und schon viele Männer waren von einem Tag zum anderen in Ungnade gefallen. Die hohe Zahl der Nobili hinter den Gittern der Bleikammern sprach eine deutliche Sprache. Fraglos sah auch der Kerkermeister selbst sich schon in einer der Zellen oder unter dem Beil des Henkers.
    Faustus – Menschenkenner der er war – wusste all das, und er war gewitzt genug, einen Vorteil daraus zu ziehen. In solchen Momenten war ich stolz, Diener meines Herrn zu sein.
    »Ihr wollt mit mir handeln, nehme ich an?«, brachte der Kerkermeister schwach hervor und konnte den Blick nicht von dem Ägypter am Boden nehmen, von seinen weißen, dämonischen Augen.
    »Freiheit für mich und meine beiden Begleiter«, forderte Faustus ungerührt. »Und die Rückgabe all unseres Weggepäcks.«
    »Damit begebe ich mich in Teufels Küche«, stieß der Kerkermeister aus.
    Faustus deutete beiläufig auf den Besessenen. »Dort seid Ihr schon, fürchte ich.«
    Der Soldat schenkte ihm einen zornigen Blick, doch sogleich hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Es stimmt, was man sich über Eure Gewitztheit erzählt, Doktor Faustus. Und ich muss gestehen, ich hoffe und fürchte zugleich, dass auch der Rest der Wahrheit entspricht.«
    »Sollte dem so sein«, erwiderte mein Meister lächelnd, »so habt Ihr allen Grund zu der Annahme, dass ich mein
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