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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
Autoren: Matthias Glaubrecht
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Prolog –
Verschollene Briefe
    »Dear Sir …«, beginnt der Schreiber in ungelenker Handschrift. Seine wenigen Zeilen, offenkundig schnell und wie beiläufig dahingeworfen, berichten indes von einem ungeheuerlichen Sachverhalt. Er habe vor Jahren schon, nach dem Tod der letzten Erben, ein altes Haus auf dem Land erworben. Nun standen längst überfällige Arbeiten am Dach dieses Hauses an. Als er deshalb begann, den Dachboden der ihm unbekannten einstigen Bewohner zu entrümpeln, fielen ihm alte Briefe und andere vergilbte Papiere in die Hände, bis dahin verborgen in einer offenbar lange ungeöffneten Holztruhe. Darunter seien auch einige gewesen, die auf recht dünnem Papier geschrieben waren, wie man es vor langer Zeit für die Post aus Übersee zu verwenden pflegte. Diese hätten insofern seine Aufmerksamkeit erregt, so der Schreiber, als sie wohl aus der Hand eines gewissen Alfred R. Wallace stammten; zumindest sei dessen Name dort mehrfach zu lesen. Er selbst kenne sich mit diesen Dingen zu wenig aus, doch vermute er, dass man in London durchaus an solchen Briefen und Papieren interessiert sein könnte. Wenn dem so sei, so schließt der Schreiber seine Nachricht, dann möge man diese Fundsachen vom Dachboden doch bitte gelegentlich bei ihm abholen. Hochachtungsvoll.
    Das kurze Schreiben ist an George Beccaloni gerichtet, adressiert an das Natural History Museum in London, Cromwell Road, South Kensington – gleichsam das Epizentrum naturhistorischer Forschung seit den Tagen des britischen Empire. Wer immer in England ein Anliegen in Sachen Naturkunde hat, wendet sich dorthin. Dass nun gerade Beccaloni diese handschriftliche Nachricht erhält, ist dabei kein Zufall. Von Haus aus Insektenforscher, arbeitet er als Kurator am Londoner Museum; und seit Jahren ist er in England die treibende Kraft bei allen Aktivitäten in Sachen ebenjenes Alfred Russel Wallace. Nicht nur dessen Insektensammlung hat Beccaloni in sorgfältiger Kleinarbeit wieder zusammengetragen und einen Katalog der von Wallace gesammelten Schmetterlinge erstellt; er hat unlängst auch das Wallace-Korrespondenz-Projekt aus der Taufe gehoben und sich damit vorgenommen, sämtliche Briefe von oder an Wallace zu katalogisieren und zu digitalisieren.
    Zwar ist vieles aus dem Briefwechsel von Alfred Russel Wallace bekannt, wenigstens auszugsweise sogar veröffentlicht. Bereits kurz nach seinem Tod wurde ein nicht unerheblicher Teil seiner Korrespondenz abgedruckt, von der sich heute allein 1800 Briefe in der British Library und weitere, mehr als 1200 Briefe und assoziierte Dokumente (wie etwa gestempelte Umschläge) im Natural History Museum in London befinden. Doch vermutlich noch einmal so viele Briefe dürften überall auf der Welt verstreut in weiteren Bibliotheken und Museen liegen – oft unerkannt oder zumindest nicht allgemein zugänglich. All diese Briefe werden zukünftig online gestellt und Forschern und Interessierten weltweit zur Verfügung stehen. Mit diesem Korrespondenz-Projekt hofft Beccaloni aber nicht nur Neues aus dem Leben von Wallace zu erfahren; vor allem will er damit die Suche nach einigen lange vermissten Briefen anheizen, die – so spekuliert er – irgendwo in einer privaten Sammlung oder übersehen und vergessen in einem Archiv die Zeit überdauert haben.
    Jahrelang hat George Beccaloni darauf gehofft, jetzt wähnt er sich am Ziel. Und doch kann er kaum fassen, was er dann auf dem Dachboden eines alten englischen Landhauses in den Händen hält. Endlich hat er jenen ominösen Brief gefunden, den Alfred Russel Wallace im März 1858 von der Gewürzinsel Ternate im fernen Malayischen Archipel an den britischen Naturforscher Charles Darwin in England geschickt hat. Mehr noch: In der Holztruhe auf dem Dachboden findet sich auch eines der wichtigsten Dokumente in der Geschichte der Biologie – Wallace’ handschriftliches Manuskript über die Entstehung von Arten, geschrieben auf zwanzig Seiten dünnen Auslandsbriefpapiers. Eine Sensation. Wenn die eben geschilderte Szene tatsächlich geschehen wäre und nicht nur erfunden. …

    Brief und Manuskript jedoch kennt man leider nicht im Original. Es gibt nur Hinweise auf den Brief, eine Abschrift des Manuskriptes. Immer wieder haben Biographen und Historiker auf den durchaus eigenartigen Umstand hingewiesen, dass ausgerechnet wichtige Teile der Korrespondenz von Alfred Russel Wallace mit Charles Darwin nicht erhalten sind. Amerikanische Wissenschaftshistoriker haben sogar eine
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