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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Autoren: Kai Meyer
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Gewändern, mit Gesichtsmasken in Form goldener Halbmonde. Auf langen Flöten spielten sie ein trauriges Duett.
    Soldaten brachten uns in einem Ruderboot ans Festland. Einmal glaubte ich in der Ferne eine schwarze Gondel zu sehen, auf der ein einsamer Mann stand, vollkommen nackt, mit verschlungenen Zeichnungen auf Rücken und Brust. Dann aber war er verschwunden, ein Schatten vielleicht. Ein Traum.
    An Land händigten uns die Soldaten ein Schreiben des Kerkermeisters aus. Es gab dem Besitzer eines nahen Bauernhofs Anweisung, uns unsere Pferde auszuhändigen. Die Männer sprachen kein überflüssiges Wort mit uns, schenkten uns nur hin und wieder verächtliche, aber auch ängstliche Blicke. Mir entging nicht, dass ihre Hände gefährlich nah an den Griffen ihrer Dolche lagen. Bis zuletzt hegte ich den Verdacht, dass man versuchen würde, uns hinterrücks zu ermorden.
    Doch das Boot brach gleich wieder auf in Richtung Stadt und ließ uns inmitten unseres Gepäcks allein zurück am Ufer. Die Wolkendecke hatte sich restlos aufgelöst, und der Mond – geformt wie die Gesichter der beiden Flötenspieler vor dem Palast – schuf auf der sanften Brandung einen silbernen Glitzerreigen.
    Wir fanden den Hof, klopften den mürrischen Bauern aus dem Bett und befanden uns alsbald mit unseren Rössern auf dem Weg nach Süden. Zypressen wuchsen zu beiden Seiten der gepflasterten Straße, schlanke schwarze Säulen, die sich wie riesenhafte Kuttenträger über uns erhoben. Die drei Tage im Kerker der Lagunenstadt hatten uns zu einer unverhofften Rast verholfen, die wir nach dem harten Ritt der letzten Wochen bitter nötig gehabt hatten. Trotz der Ereignisse in der Zelle des Ägypters fühlte ich mich einigermaßen ausgeruht, und den beiden anderen schien es ebenso zu gehen. Voraussichtlich würden wir die Nacht hindurch reiten und uns erst bei Sonnenaufgang ein Lager bereiten.
    Während Angelina angespannt im Dunkeln nach Wegelagerern Ausschau hielt, lenkte ich mein Pferd neben Faustus. Ich konnte meine Neugier und Unruhe nicht länger im Zaum halten.
    »Die höhere Macht, von der Ihr gesprochen habt … das ist Anubis, nicht wahr?« Schnell, bevor er wütend werden konnte, fügte ich hinzu: »Ich meine, es ist nur recht, dass wir erfahren, auf was wir uns hier einlassen. Ich folge Euch jetzt schon weit über ein Jahr, und ich habe vieles von Euch gelernt, mehr als ich je an der hohen Schule hätte …«
    Er unterbrach mich. »Du musst mir nicht schmeicheln, Wagner. Aber stell dir zuerst eine Frage: Bist du wegen mir hier, wegen deiner Wissbegier – oder wegen ihr?« Er deutete auf Angelina, die zwei Pferdelängen vor uns ritt.
    Einige Herzschläge lang wusste ich nicht, was ich darauf erwidern sollte. Er kannte meinen wunden Punkt. Er hätte blind und taub sein müssen, ihn zu übersehen. Aber nie zuvor hatte er mich darauf angesprochen, auf meine Gefühle für Angelina, auf das, was sie mir bedeutete.
    Ich versuchte, so ausweichend wie möglich zu antworten: »Sind wir nicht beide wegen ihr hier? Um das Geheimnis des Zugs der Erleuchteten zu lösen?«
    Faustus lächelte. »Ich war schon früher in Rom, damals, nach meiner Rückkehr aus Ägypten. Ich war ein wenig … nun, angeschlagen. Jemand fand mich, pflegte mich und wurde ein guter Freund. Er lebt im Vatikanspalast und hat dort die Amtszeiten von vier Päpsten miterlebt. Auch die des Borgias. Diese Reise ist ein guter Anlass, um ihn wiederzusehen.«
    »Aber Ihr reitet doch nicht nur deshalb nach Rom.«
    »Es ist kein Geheimnis, dass ich die Kirche nicht mag. Und so wie es aussieht, befinden wir uns auf unserem eigenen kleinen Kreuzzug gegen das Papsttum.« Er schaute mich eindringlich von der Seite an. »Aber wir wollten nicht über mich sprechen, Wagner. Versuch lieber, dir klar zu werden, warum du diese Reise auf dich nimmst.«
    »Ich folge meinem Meister.«
    »Mach es dir nicht zu einfach.«
    »Aber es ist wahr. Ich bin Euer Schüler, und Ihr seid mein Herr. Wenn Ihr sagt, wir reiten ans Ende der Welt, dann bin ich an Eurer Seite.«
    »Du bist mutig, aber ist das auch der Weg zur Weisheit?«
    »Sagt Ihr es mir.«
    Er seufzte verstohlen. »Mutig, lieber Wagner, ist nicht die Tatsache, dass man sich mit dem Schwert gegen eine ganze Armee stellt. Mut bedeutet vielmehr, dass man sich die Frage stellt, warum man im Angesicht eines solchen Feindes überhaupt erst nach dem Schwert gegriffen hat. Was ist es, das einen zur Dummheit verführt? Zu einem Fehler, der vielleicht
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