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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Autoren: Kai Meyer
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und sagte zu niemand Bestimmtem: »Groß wie Kirschkerne. Hm …«
    Angelina und ich wechselten einen Blick. Ihr verbranntes Gesicht war vollkommen starr, wie aus Lehm geformt. Doch auch ohne jede Mimik konnte ich die Fassungslosigkeit in ihren Augen lesen. Mittlerweile hatte ich Übung darin.
    Ich wandte mich wieder an meinen Meister. »Erlaubt mir dennoch, Herr, noch einmal auf unsere größte Sorge zurückzukommen.« Ich versuchte wie immer, höchst diplomatisch zu ihm zu sprechen. Es hatte keinen Zweck, ihn in unserer Lage wütend zu machen. »Wir sind jetzt seit drei Tagen Gefangene, und es kann nicht mehr lange dauern, ehe sich die Inquisition unserer annimmt.«
    »Es wäre in der Tat angebracht, diesen ungastlichen Ort zu verlassen«, stimmte er mir zu. Mit seiner Ruhe konnte er einen schier zur Verzweiflung bringen.
    »Und wie sieht Euer Plan aus?«
    »Welcher Plan?«
    Ich schluckte. »Gewiss habt Ihr doch einen, oder?«
    Faustus seufzte, trat auf mich zu und packte mich an den Schultern. »Gelegenheiten, Wagner … Die Kunst der Flucht ist die Kunst des geduldigen Wartens auf eine Gelegenheit.«
    Ich sah ihn aus großen Augen an. »Heißt das, wir … warten? Sonst nichts?«
    Mein Meister hob die rechte Hand und streckte den Zeigefinger aus. »Horch!«, verlangte er. »Horch auf den Hagel. Er ist der Vorbote von etwas anderem. Das ist er immer. Irgendwo, ganz in der Nähe, geschieht etwas.«
    » Etwas? « , fragte ich zweifelnd.
    Er nickte. »Etwas, das uns helfen mag.« Er ließ mich los und ging vor Angelina in die Hocke. »Wir gehen nach Rom«, sagte er eindringlich. »Vertrau mir.«
    In seiner Stimme lag ein Mitgefühl, das mich erstaunte. Meist hatte er nur seine eigenen Dinge im Kopf und kümmerte sich nicht weiter um das, was Angelina oder mich selbst beschäftigte. Insofern war es überraschend, dass er jetzt Angelinas Hand ergriff und aufmunternd drückte.
    War der Stich, den ich bei diesem Anblick verspürte, etwa Eifersucht? Ich atmete tief durch, in der Hoffnung, damit meine Sinne zu klären. Vergeblich. Der Anblick von Faustus, der Angelinas Hand hielt, ging mir durch und durch. Und das, obwohl zwischen ihr und mir nicht mehr geschehen war als ein Kuss im Schloss des Schlangenkönigs und verstohlenes Aneinanderkuscheln in kalten Nächten.
    Ich räusperte mich und trat ans Fenster, blickte über die Dächer Venedigs, gefangen in einem vagen, wirbelnden Grau aus Eis. Hinter mir richtete Faustus sich auf, begann wieder, in der Zelle auf und ab zu gehen.
    Eine zarte Hand legte sich auf meine Schulter. Angelina war vollkommen lautlos herangehuscht, schnell und still wie ein Schatten. Ich drehte mich zu ihr um. Wenn ich in ihre blauen Augen blickte, schien die Narbenwüste ihrer Züge zu zerfasern wie Nebel; manchmal glaubte ich dann, ihr altes Ich zu sehen, das schlanke, blonde Mädchen, das von den Häschern des Vatikans zur Kriegerin erzogen worden war, so schön wie verbissen.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, brachte sie ihre Lippen ganz nah an mein Ohr, öffnete und schloss sie, als würde sie mir etwas zuflüstern, auch wenn kein Ton aus ihrer Kehle drang. Es war kein Kuss, ihr Mund berührte mich nicht, und doch lag in dieser kleinen Geste so viel Vertrautheit und Wärme, dass ich meine Eifersucht auf einen Schlag vergaß. Am liebsten hätte ich sie in die Arme genommen, und vielleicht, nur vielleicht, hätte ich es diesmal tatsächlich gewagt –
    – wenn nicht im selben Moment die Zellentür aufgeflogen wäre. Mit einem Krachen schepperte der Türflügel gegen die Wand. In der ganzen Kammer rieselte Staub aus den Fugen der Holzbohlen.
    Ein Wächter stand mit gezogenem Schwert im Türrahmen, sein Blick suchte Faustus. Hastig sagte er etwas auf Italienisch. Ich verstand kein Wort, bemerkte aber, dass sowohl mein Meister als auch Angelina aufmerksam zuhörten.
    Faustus wirkte überrascht. Er entgegnete etwas.
    »Ist es soweit?«, fragte ich krächzend. »Holen Sie uns ab zur Folter?«
    Angelina schüttelte den Kopf, horchte dann wieder auf das, was der Wächter sagte. Faustus deutete auf uns beide, und der Wachmann nickte widerwillig.
    Im selben Moment erklang in den Tiefen des Kerkers ein entsetzliches Kreischen, wie von einem Menschen in höchster Qual und Verzweiflung.
    »O Gott«, murmelte ich beklommen. »O Gott, O Gott, O Gott …«
    »Keine Angst«, sagte Faustus an mich gewandt. »Sie werden uns nicht foltern. Noch nicht. Aber wir sollen mitkommen. Der Kerkermeister braucht meine
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