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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen
Autoren: Dean R. Koontz
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ERSTER TEIL
    Die Vergangenheit in Stücke schlagen
    Die Vergangenheit ist nur der Anfang eines Anfangs, und alles, was ist und gewesen ist, ist nichts als Zwielicht der Morgendämmerung.
    H. G. Well s
    Das Zusammentreffen zweier Persönlichkeiten ist wie das Aufeinandertreffen zweier chemischer Substanzen: Findet eine Reaktion statt, werden beide verwandelt.
    C. G. Jung

    EINS
    An seinem sechsunddreissigten Geburtstag, dem 18. Mai, stand Travis Cornell um fünf Uhr früh auf. Er zog derbe Wanderstiefel, Jeans und ein langärmeliges blaukariertes Baumwollhemd an. Von seinem Heim in Santa Barbara steuerte er seinen Pick-up südwärts, bis ganz hinunter zum Santiago Canyon am Ostrand des Orange County südlich von Los Angeles. Mitgenommen hatte er nur eine Schachtel Oreo-Kekse, in einer Feldflasche Cool-Aid mit Orangengeschmack sowie eine voll geladene Smith & Wesson .38 Chief's Special.
    Während der zweieinhalbstündigen Fahrt schaltete er kein einziges Mal das Radio ein. Auch summte, pfiff oder sang er nicht vor sich hin, wie Männer das häufig tun, wenn sie allein sind. Während eines Teils der Fahrt lag der Pazifik zu seiner Rechten. Die morgendliche See war gegen den Horizont hin dräuend schwarz, hart und kalt wie Schiefer, näher am Ufer aber übersät von hellen Flecken, die das Frühlicht in der Farbe von Pennymünzen und Rosenblättern über die Wasserfläche legte. Doch Travis warf keinen einzigen bewundernden Blick auf das lichtgeschmückte Meer.
    Er war ein hagerer, sehniger Mann, mit tief in den Höhlen liegenden Augen, die vom gleichen dunklen Braun waren wie sein Haar. Das Gesicht war schmal, mit einer edel geformten Nase, hohen Backenknochen und einem leicht spitzen Kinn. Ein asketisches Gesicht, das zu einem Ordensmann gepaßt hätte, der noch an Selbstgeißelung glaubte und an die Reinigung der Seele durch das Leid. Leid hatte er weiß Gott genug erfahren. Aber dieses Gesicht konnte auch Wärme und Offenheit ausstrahlen. Mit seinem Lächeln hatte er einmal die Frauen bezaubert, wenn auch nicht in letzter Zeit. Er hatte lange nicht mehr gelächelt. Die Kekse, die Feldflasche und der Revolver steckten in einem kleinen grünen Nylonrucksack mit schwarzen Nylongurten, den er jetzt auf dem Sitz neben sich liegen hatte. Gelegentlich warf er einen Blick darauf, und dann war es ihm, als könnte er durch den Stoff hindurch die geladene Chief's Special sehen. Von der Santiago Canyon Road im Orange County bog er in eine viel schmalere Nebenstraße ein und ein kurzes Stück weiter in eine die Reifen stark beanspruchende Schotterstraße. Wenige Minuten nach halb neun parkte er den roten Pick-up auf einem Rastplatz unter den ausladenden, stacheligen Zweigen eines Nadelbaums, Er schob die Tragegurte des kleinen Rucksacks über die Schultern und machte sich auf den Weg in die Vorberge des Santa-Ana-Gebirges. Aus seiner Jugend kannte er hier jeden Hang, jedes Tal, jeden Hohlweg und jeden Kamm. Seinem Vater hatte im oberen Holy Jim Canyon, dem vielleicht abgelegensten aller bewohnten Canyons, eine Steinhütte gehört, und Travis hatte Wochen damit verbracht, meilenweit im Umkreis die Wildnis zu erforschen. Er liebte diese ungezähmten Canyons. Als er ein Junge gewesen war, hatten Schwarzbären die Wälder durchstreift; die waren jetzt fort. Aber Maultierhirsche konnte man noch finden, wenn auch nicht mehr in so großer Zahl wie vor zwei Jahrzehnten. Doch wenigstens die schönen Falten und Brüche des Bodens, das reiche, vielfältige Buschwerk und die Bäume waren noch so, wie sie einmal gewesen waren: Über weite Strecken ging es unter dem Blätterdach immergrüner kalifornischer Eichen und Sykomoren dahin. Hier und da kam er an einzelnen oder in Gruppen stehenden Hütten vorüber. Einige von den Canyonbewohnern setzten ihre Überlebensphilosophie nur halbherzig in die Tat um; sie meinten zwar, das Ende der Zivilisation sei nahe, hatten aber nicht den Mut, noch unwirtlichere Orte aufzusuchen. Die meisten waren ganz gewöhnliche Leute, die das Getriebe des modernen Lebens satt hatten und es sich hier auch ohne Leitungswasser, Kanalisation und Elektrizität gutgehen ließen. So abgelegen die Canyons zu sein schienen, sie würden doch bald unter den auswuchernden Vororten begraben liegen. Im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern lebten in den einander überlappenden Counties von Orange und Los Angeles beinahe zehn Millionen Menschen, und das Wachstum ließ nicht nach. Jetzt aber fiel kristallklares, alles enthüllendes
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