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Narrentod

Titel: Narrentod
Autoren: Gmeiner-Verlag
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1
    »Jetzt ist es passiert .«
    »Hallo?«
    »Hanspudi, es hat ihn erwischt .«
    »Wen? Wer spricht da? Ich versteh nicht recht. Moment.«
    Die Turmuhr der Stadtkirche schlägt 17 Uhr. Ich erhebe mich, schließe mit einer Hand das offene Fenster und presse mit der anderen das Handy ans rechte Ohr.
    »Entschuldige«, antwortet der Anrufer. »Ich bin’s, der Rolf .«
    »Oho, der Stadtpräsident persönlich! Ciao, Rüfe. Was ist los ?«
    »Der Fulehung ist tot !«
    »Wie meinst du das ?«
    »Wie ich’s sage .«
    »Erzähl keinen Chabis, Rüfe. Der Fulehung kann nicht sterben .«
    »Doch. Jemand hat Beat Dummermuth umgebracht«, bekräftigt der Stapi, den Tränen nahe.
    So emotional habe ich Rolf von Siebenthal noch nie erlebt. Mitten im dreitägigen Ausschiesset, dem wichtigsten Stadtfest der Thuner Bevölkerung, scheinen Rüfes Nerven blank zu liegen. Was ich mitbekommen habe: Dummermuth, der einmal pro Jahr in ein teuflisches Narrenkostüm steigt und die sagenumwobene Figur des habsburgischen Hofnarren mimt, scheint etwas zugestoßen zu sein. Etwas Endgültiges.
    »Willst du sagen … ?«
    »Genau. Er wurde ermordet. Darum rufe ich dich an. Du musst mir helfen .«
    »Warum gehst du nicht zur Polizei ?«
    »Bin ich doch. Aber keiner kennt unser Städtchen und seine Pappenheimer besser als du. Die Kantonspolizei Bern ist damit einverstanden, dass ich dich als Privatdetektiv beauftrage, die Angelegenheit so diskret und so rasch als möglich aufzuklären. Die Beamten tun selbstverständlich ihre Arbeit. Die Kapo besteht lediglich darauf, dass du ihre Ermittlungen nicht behinderst, die Gesetze respektierst und ihnen keine Informationen vorenthältst, wenn du etwas herausfindest«, sagt Rolf von Siebenthal.
    »Wenn? Falls ich etwas herausfinde«, berichtige ich.
    »Ich habe volles Vertrauen und zähle auf dich. Und ganz wichtig: Die Sache bleibt absolut geheim! Nichts darf raus. Die Festfreude unserer Bevölkerung darf unter keinen Umständen getrübt werden. Es reicht, wenn die Öffentlichkeit dann nächste Woche ins Bild gesetzt wird .«
    »Hm, ich denke, am besten komme ich im Rathaus vorbei. Du bist doch jetzt in deinem Büro, oder ?« , frage ich.
    »Ja, ja. Danke, Hans-Peter, danke. Und bitte beeil dich .«
    Hans-Peter? Welche Ehre. Seit wann nennt mich Rüfe Hans-Peter? Gerade war ich noch der Hanspudi. Die Lage muss wirklich sehr ernst sein.

2
    20 Minuten später stehe ich bereits im Rathaus.
    Der sichtlich aufgewühlte Stapi hat ganz vergessen, mir einen Stuhl anzubieten, und tigert hinter seinem Schreibtisch hin und her. Der Stadtvater dürfte um die 175 Zentimeter messen und kaum unter 100 Kilogramm wiegen. Er trägt eine karminrote Krawatte über einem weißen Hemd, das in einer beigen Bundfaltenhose steckt. Der dazugehörende dunkelblaue Kittel hängt verknittert über der speckigen Rückenlehne eines gepolsterten Bürosessels. Mit seinen 64 Jahren vertritt Rolf von Siebenthal, nach Meinung einer Mehrheit, die Interessen der ansonsten SP-lastigen Stadt auch als konservatives SVP-Mitglied einigermaßen unabhängig. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und wohnt im Schatten des Niesen auf dem Strättlighügel, mit Blick über den See, auf die sonnige Goldküste gegenüber und zum Alpenpanorama des Berner Oberlandes mit Eiger, Mönch und Jungfrau.
    Ungefragt setze ich mich schräg auf die präsidiale Schreibtischkante und erkundige mich: »Gibt es erste Vermutungen ?«
    »Nur wilde. Nichts Konkretes.«
    »Dann sag mir die wilden«, fordere ich Rüfe auf.
    »Es könnte als Angriff auf Tradition und Beständigkeit unseres schönen Garnisonsstädtchens verstanden werden. Der Weisse Block könnte die Finger im Spiel haben. Aber wie gesagt, reine Vermutung.«
    Ich habe meine Zweifel an dieser Hypothese und gebe zu bedenken, dass Mord und Totschlag bisher nicht zum Repertoire dieses Chaotentrupps gehörten.
    Rolf von Siebenthal senkt seine Mundwinkel und hebt gleichzeitig die Schultern. Dann meint er: »Ja, ich weiß. Trotzdem dürfen wir nicht davor zurückschrecken, auch anarchistische Motive ins Auge zu fassen .«
    »Warum dann nicht gleich terroristische ?« , frage ich.
    »Ach komm, Hanspudi, das dann doch eher nicht«, wehrt Rüfe ab. »Eine ganz andere Möglichkeit sehe ich darin, dass Beat Dummermuth schwerwiegende private oder berufliche Probleme gehabt haben könnte .«
    »Das scheint mir schon wahrscheinlicher. Aber warum wird er dann ausgerechnet in seiner auffälligen Kostümierung getötet?
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