Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
der Junge am Herzen liegt!«
    Die Gesichtszüge der Freihöferin verloren ihre Anspannung. Ohne etwas zu sagen, durchquerte sie die Stube und schlug einen schweren Vorhang zurück, der ihre Bettstatt verhüllte. In einer wunderschön bemalten Wiege lag ein pausbackiger Säugling auf einem Ziegenfell und spielte vergnügt mit seinen Zehen. Als das flackernde Licht der Feuerstelle seine Augen traf, blinzelte er irritiert und suchte Blickkontakt zu der Frau, die ihn aufgenommen hatte. Sofort beugte sich die Freihöferin über den Kleinen und streichelte zärtlich seine rosigen Wangen.
    »Wie habt Ihr erraten, daß der Kleine bei mir ist, Schulmeisterin?« fragte die Verwalterin mit gesenkter Stimme, während sie den Vorhang wieder zuzog. »Meister Lupian hat mir doch verboten, mit irgend jemandem über den Kleinen zu sprechen. Er sagte, sonst würde er ihn mir wieder wegnehmen und mich vom Hof jagen!«
    Philippa ging lächelnd zur Tür und legte ihre Hand auf die Klinke. »Vielleicht erinnert Ihr Euch noch, daß ich die Wirtschaftsbücher führte, solange meine Tante und Doktor Luther nicht im Hause waren? Mir fiel recht bald auf, daß Ihr niemals zuvor soviel Milch für Euch selbst verbraucht habt wie in den vergangenen Wochen!«
    Am Gatter erwartete Bernardi sie schon voller Ungeduld. Als er beobachtete, wie die Freihöferin ihnen zum Abschied winkte, lächelte er. »Wie mir scheint, konntet Ihr Euer kleines Frauenproblem lösen, Philippa. Wohin soll's nun also gehen? Nach Straßburg oder nach Lippendorf?«
    Philippa blickte ihn erstaunt an. »Manchmal seid Ihr mir direkt unheimlich, Magister Bernardi, aber Ihr liegt richtig! Bevor wir Kursachsen verlassen, möchte ich den Gobelin haben, der früher im Saal des Gutshauses hing. Nennt es weibliche Einfalt, aber mein Gefühl sagt mir, daß der Wandbehang mit dem Wappen der von Boras für meine Mutter ebenso wichtig war wie die Heiligenfigur in meiner Truhe.«
    »Und wie wollt Ihr es anstellen, ihn zu holen?« Bernardi hauchte fröstelnd in die Hände. »Eure Schwägerin Abekke wird Euch nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Und sobald sie merkt, daß Euch an dem Erinnerungsstück etwas liegt …«
    »Ich werde Abekke und Sebastian gewiß keine Gelegenheit geben, mich noch einmal vom Gut zu verjagen«, erklärte Philippa mit fester Stimme. »Und Ihr solltet Euch vor ihnen auch nicht mehr blicken lassen!«
    »Was habt Ihr statt dessen vor?«
    Philippa überlegte einen Moment. Dann schenkte sie Bernardi ein entwaffnendes Lächeln. »Nun, ich denke, wir überlassen Abekke einem Mann, der nichts so gut versteht, wie anderen seinen Willen aufzuzwingen!«
    Einem Musikus, Komödianten und versfußkranken Dichter, setzte sie in Gedanken hinzu.
    ***
    Die Katen des Dorfes sahen hinter dem Anger noch ärmlicher aus, als Philippa sie in Erinnerung behalten hatte.
    Es gab keine Herberge im Ort, wohl aber ein verlassenes Steinhaus, das von Mitgliedern der Familie von Bora seit Generationen als Unterkunft bei Jagdausflügen benutzt wurde. Hier lagerten die Felle erlegter Tiere, die im Gutshaus keinen Platz gefunden hatten, außerdem Hörner von Wildebern, Hirschgeweihe, Werkzeuge und jede Menge Gerümpel.
    Bernardi hatte den Karren in einer Senke nahe des Sumpfes zurückgelassen und sich mit Philippa und Roswitha zu Fuß zum Jagdhaus hinter dem Anger aufgemacht. Dort blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten.
    »Und wenn dieser Kerl, Euer … Freund gar nicht kommt?« Bernardi stellte diese Frage gewiß schon zum zehnten Mal.
    Philippa, die vor dem halb geschlossenen Laden Stellung bezogen hatte, warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. Der Magister trug seine Gefühle recht offen zur Schau, stellte sie fest. Aus seinen nervösen Worten und Gesten sprach glühende Eifersucht. Dabei hatte sie es in weiser Voraussicht vorgezogen, Bernardi nur das Nötigste über den Musikanten und seine faszinierenden Gaben zu berichten. Seufzend ließ sie sich auf das Lager aus alten Kissen sinken und stützte den Kopf auf beide Arme. Sie konnte sich noch gut an die letzte Beizjagd erinnern, zu der man sie eingeladen hatte. Stundenlang war sie Seite an Seite mit ihrem Vater über die Felder gestreift. Sie hatten gelacht und gescherzt. Der Vater hatte wegen ihres übermütigen Geplappers schließlich gar vergessen, seine Armbrust in Anschlag zu bringen. Als sie am Abend zur Jagdgesellschaft zurückgekehrt waren, bestand die Beute des Gutsherren lediglich aus zwei Rebhühnern. Philippa hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher