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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
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dies nicht leid getan, und ihr Vater hatte gelacht und gutmütig gedroht, er würde sie nicht mehr mitnehmen.
    Plötzlich ging die Tür auf, und ein hochgewachsener Mann erschien im Rahmen. Er schien nicht überrascht zu sein, jemanden in der Hütte vorzufinden. Beide Daumen in den breiten Gürtel gesteckt, der sein grünes Wams zusammenhielt, machte er einen Schritt auf die kleine Gruppe zu. Seine Augen funkelten durch das Zwielicht. Einen Herzschlag lang herrschte angespannte Stille, die nur von Roswithas Keuchen durchzogen wurde. Dann sprang Bernardi auf die Füße und ergriff eines der zugeschliffenen Eberhörner. Drohend wiegte er das Horn in seiner Hand. Philippa stand ebenfalls auf.
    »Ihr kommt reichlich spät, Gabriel Prinz«, stellte sie fest. »Darf ich dennoch hoffen, daß Eure Mission erfolgreich war?«
    Der Mann in dem grünen Wams lachte auf. Ohne sofort auf Philippas Frage einzugehen, wandte er sich an Bernardi, der noch immer reglos neben ihr stand, und streckte die Hand aus. »Als mich vor ein paar Tagen in Magdeburg die Nachricht der Jungfer erreichte, wußte ich sofort, daß wir einander eines Tages begegnen würden.« Er zog sein Barett. »Es ist mir ein Vergnügen, Herr Bernardi!«
    »Prinz!« zischte Philippa ungnädig. Sie begann plötzlich vor Anspannung zu schwitzen. Die Luft in der Jagdhütte war bedrückend geworden, die Stille rund um den nächtlichen Anger so intensiv, daß sie in ihrem Kopf zu rauschen schien. Als sie sich nach ihrer Amme umwandte, die auf dem Polster verharrte, spürte sie, daß sie nicht länger an diesem Ort bleiben durften.
    »Es war nicht leicht, Euren Gobelin aus dem Gutshaus zu schmuggeln, Herrin«, sagte der Gaukler, nachdem er und Bernardi einander ein paar Momente wie mißtrauische Kampfhähne angestiert hatten. »Der Verwalter wollte mich zunächst nicht einlassen, doch schließlich lud mich die junge Herrin von Lippendorf ein, sie und ihre Tischgesellschaft mit einigen Liedern zu unterhalten.«
    »Ich kann nur beten, daß sie nicht mißtrauisch wurde!« Philippa holte tief Luft. »Abekke ist mit allen Wassern gewaschen.«
    »Es ist nicht meine Art, hübschen jungen Damen einen Herzenswunsch zu verweigern, meine Liebe«, sagte Gabriel Prinz und lächelte wieder.
    Bernardi entfuhr ein geringschätziges Zischen, doch er kam nicht umhin, den Mut zu bewundern, mit dem der Gaukler sich Zutritt zum Haus der von Boras verschafft hatte. Falls er seinen Auftrag tatsächlich ausgeführt hatte, würde Philippa ihm Dank schulden.
    »Frau Abekke wies mir einen Schlafplatz in der Bodenkammer zu, wie Ihr vermutet hattet, Jungfer«, fuhr der Gaukler mit melodiöser Stimme fort. »Ich brauchte ein paar Stunden, um den alten Behang in einem Korb voller Plunder zu finden. Dafür war es ein leichtes, noch in dieser Nacht über den Steg zu entkommen. Von zwei versoffenen Waffenknechten abgesehen, scheinen die Gutsherren keinen besonderen Wert auf Wachen zu legen.« Mit großen Schritten ging er zur Tür hinüber, öffnete sie und schob mit dem Fuß ein zusammengerolltes Bündel über den Lehmboden.
    Es war die Handarbeit ihrer Mutter, soviel konnte Philippa selbst im schwachen Schein der einzigen Lampe feststellen. Jahrelang hatte der Gobelin sich an einer Wand des Saales befunden, so lange, bis Teile von ihm in Fetzen heruntergehangen hatten. Wie oft hatten Roswitha und ihr Vater sie aufgefordert, das Tuch auszubessern. Das bestürzte Gesicht des alten Vaters tauchte plötzlich vor ihr auf. Abekke hatte den Gobelin durch einen anderen, zweifellos ebenso prächtigen ersetzt, der unverkennbar das Medewitzer Wappen trug.
    Beschämt senkte Philippa den Kopf, während ihre Finger über den Gobelin strichen. Sie betrachtete die Gesichter der einzelnen Figuren. Eines davon sah dem Antlitz der Heiligenfigur in der Tat zum Verwechseln ähnlich.
    »Laßt mich einmal sehen«, bat Roswitha und rieb den schweren Brokat vom Saum aufwärts zwischen Daumen und Zeigefinger. Ihre Miene drückte Anerkennung aus, und Philippa dachte mit einer Woge der Zuneigung daran, wie stolz ihre Amme wohl gewesen wäre, wenn ihre Ziehtochter den Behang unter ihren Händen gestickt hätte.
    »Da steckt etwas im Tuch!« rief die alte Frau plötzlich. Ihre plumpen Finger fuhren über eine der seidig glänzenden Figuren. »In Herzhöhe der Reiterin, die so aussieht, wie Eure Skulptur, mein Herz! Wartet, ich trenne es auf!«
    Philippa starrte gebannt auf das Tuch. Bernardi kniete neben ihr, und selbst der sonderbare
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