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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder
Autoren: Horst Biernath
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DAS HAUS

    Das alte Dorf Greiffing, ursprünglich wohl eine keltische Gründung, denn die Bauern fanden beim Pflügen zuweilen jene seltsam geformten, kleinen Goldmünzen, die man Regenbogenschüsselchen nennt, lag jenseits der Würm an der kurvenreichen, dem Flußlauf folgenden Landstraße, auf der an Sonn- und Feiertagen die Kette der zum Starnberger See drängenden Autos nicht abriß. Das neue Greiffing, einer der beliebtesten Vororte Münchens, breitete sich im Windschutz der Greiffinger Lohe, eines langgestreckten Waldstreifens, um die Bahnstrecke herum aus.
    Die ersten Villen stammten aus der Zeit der Jahrhundertwende. Es waren hochherrschaftliche Kommerzienratsvillen mit Erkern, Türmchen mit patinierten Kupferhauben, schattigen Loggien und geräumigen Stallungen, die längst zu Wohnungen und Garagen umgebaut worden waren und bei denen nichts mehr an ihre ursprüngliche Bestimmung erinnerte. Von den Bomben des Krieges verschont, waren viele dieser pompösen Villen dennoch der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Die Enkel und Urenkel hatten — soweit das Familienvermögen über zwei Weltkriege hinübergerettet worden war — an ihrer Stelle flache Bungalows gesetzt, deren Glasfronten an riesige Volieren erinnerten. Die weniger glücklichen Nachkommen der Gründer aber hatten längst damit begonnen, die parkähnlichen, aus Personalmangel verwilderten Gärten wie Streuselkuchen zu zerschneiden und die kleinen Parzellen zu Preisen zu verkaufen, die jene um das Tausendfache übertrafen, die ihre Vorfahren dafür bezahlt hatten.
    Der Himmel allein weiß, was jene wohlhabenden Gründer des neuen Greiffing bewogen haben mag, ihren Gelüsten nach Stille und Landluft gerade hier zu frönen. Wald und Landschaft waren weiter westlich zum Mühltal hin bedeutend schöner und abwechslungsreicher als in Greiffing, wo eine jämmerlich dünne Humusschicht in der Kiesmoräne ständig zu versickern droht. Der einzige Vorteil war die Nähe der Stadt, die man damals wie heute in zwanzig Minuten Bahnfahrt erreichen konnte. Mit dem Auto brauchte man auf der hoffnungslos verstopften Straße oft genug eine gute Stunde, so daß selbst gut betuchte Geschäftsleute, die sich einen Chauffeur leisten konnten, für Stadtfahrten die Bahn bevorzugten.
    Es war jedenfalls eine kühne Behauptung der Siedlungsgesellschaft, die das letzte Stück freien Landes in Greiffing erschlossen hatte, ihre 800- bis 1000-Quadratmeter-Parzellen als ideale Bau- und Gartengrundstücke zu empfehlen. Kein Wort gegen die vorzügliche Eignung der Gründe als Baugelände! Man konnte den Kies, sobald man die vermorschten Fichtenstumpen entfernt und den Humus abgestochen und auf ein Häufchen zur Seite geschaufelt hatte, sofort für den Beton der Kellerwände und Tragdecken hernehmen, einen sauberen, scharfen Kies mit dicken Schichten erstklassigen Schweißsandes dazwischen. Aber von Gartengrundstücken zu sprechen — das war blanker Hohn.
    Alljährlich im Frühjahr und Herbst wurden hier ganze Waggonladungen Torfmull eingestreut, und wer in Greiffings Umgebung einen Misthaufen sein eigen nannte, wurde von den Gartenbesitzern hofiert und umworben, als bekäme man bei ihm pures Gold. Denn es gab wahrhaftig einen Gartenverein Greiffing, und seine Mitglieder veranstalteten sogar Ausstellungen ihrer Erzeugnisse und verteilten Ehrenpreise und Diplome. Da waren auf langen Tischen Birnen, Äpfel, Melonen, Pfirsiche, Trauben und Gemüse zur Schau gestellt, die nicht Greiffings kargem Boden, sondern südlichen Fruchtparadiesen zu entstammen schienen. Borsdorfer, von Saft und Süße strotzend, Butterbirnen und Williams Christ, deren zartes Fruchtfleisch auf der Zunge zerschmolz, Pfirsiche, so samten und rosig wie die Wangen oder Hinterbäckchen von Säuglingen.
    Man darf behaupten, daß Greiffings Früchte aus dem Schweiß ihrer Erzeuger wuchsen. Und das waren zumeist alte Ehepaare, lauter a. D.s, pensionierte Offiziere, Staatsanwälte, Reichsbahnräte, Gymnasialprofessoren, Superintendenten und Bankdirektoren, die hier in ihren hübschen Häusern für ihre Gärten lebten. Die alten Damen und Herren werkelten von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit, verteilten ungeheure Mengen von humusbildenden Stoffen und Düngemitteln auf Baumscheiben und Beete, spritzten Kupferkalk und Katakilla, Fusibar und Vitriol, E 605 und Kopranol gegen Blattläuse, Baumwanzen, Rosenstecher und sonstiges Ungeziefer, harkten die Kieswege, putzten die Steinplatten der Liegeterrassen, schoren die
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