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Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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[ 1. ]
    Die Küchenkredenz war früher einmal weiß, jetzt ist sie gelb. In der Ecke Spinnweben. Ein kleiner rechteckiger Tisch, eine blau-grün geblümte Plastiktischdecke. Darauf ein beiger Plastikbrotkorb mit einem eingeschrumpelten, ehemals roten Apfel. Und ein weißer Mikrowellenherd, auf seiner Tür ein halb abgelöster Aufkleber. –50%. Neben dem Tisch ein Tischchen mit einem kleinen Fernseher. Als er gebaut wurde, konnte sich noch niemand vorstellen, dass man TV-Geräte einmal flach an die Wand hängen würde. Vom Fernseher geht ein weißes Kabel zur Decke, es verschwindet in einem viel zu großen Loch. Dieser Raum war ihre Küche. Und ihr Vorraum. Wohl auch ihr Wohnzimmer. Kein Wasser. Auf dem Boden ein brauner Kunststoffbelag mit Parkettmuster. Unter dem Gartenstuhl aus weißem Plastik ein rosa Hausschuh. Ich suche den zweiten und sehe ihn neben der Kredenz. Bequeme Filzlatschen, nur die Farbe und die Größe lassen vermuten, dass sie einer Frau gehören. Gehörten. Das, was geblieben ist: zwei im Raum verteilte Schuhe nach einem plötzlichen Aufbruch. Da war keine Zeit, zu ordnen, zu säubern, alles zu regeln. Wohl auch kein Bedarf. Ich öffne die angelehnte weiße Tür und bin im Nebenraum. Eine Art Badezimmer, auf dem Boden steht eine große Lache. Irgendwas tropft. Hat es schon getropft, als sie noch am Leben war? Ich atme flach. Die Luft ist stickig, Dämmerlicht. Das gekippte kleine Fenster mit der Milchglasscheibe lässt weder viel Licht noch viel Luft rein. In der frei stehenden Badewanne ein Eimer. Die Gastherme wurde offensichtlich erst nachträglich eingebaut, Sorgfalt scheint hier nicht notwendig gewesen zu sein. Die Rohre liegen offen in der Wand, in Löchern, die wie Wunden wirken.
    Ich rufe mir ins Gedächtnis, wo ich bin: in Lissenberg, einem Dorf nahe dem Stadtrand von Wien. Dieses Haus – kann ich es „Haus“ nennen? – steht nicht irgendwo in der Ukraine oder in Rumänien, es steht zwischen gepflegten Wohnhäusern und Villen und Bauernhöfen. Ich bin durch hohes Gras und einen verwilderten Vorgarten gekommen, habe den Eingang gesucht. Der liegt von der Straße abgewandt, ist eher eine Schuppentür als eine Haustüre, Sperrholzplatte mit einem Riegel innen und einem Riegel außen. Was gäbe es da auch schon zu holen? Zwischen der Küche und dem anderen Raum ist keine Tür, nur ein Türstock, ich bücke mich, unnötig, so niedrig ist der Durchgang doch nicht. Ein Bett mit einem Rahmen aus dunklem Holz. Es gibt Dinge, die sind zwar alt, aber ohne Wert. Hier riecht es noch muffiger als im improvisierten Badezimmer. Der Geruch kommt vom Boden. Kunststoffbelag mit Parkettmuster. Wie in der Küche. Illusion bürgerlichen Wohlstands. In der Ecke hat sich der Boden gelöst, ich schaue darunter: Morsche graue Holzplanken, dazwischen Erde. Lehm. In der Mitte des Raumes ein dunkelroter Teppich mit persischem Muster, an der einen Hälfte verklebt, wie mit getrockneter Farbe. Kann es sein, dass es ihr Blut ist? Dass es niemand weggemacht hat? Neben dem Teppich ein schmaler schwarzer eiserner Ofen.
    Es war Jana, Vesnas Tochter, die mich gebeten hat herzukommen. Die Mutter ihrer besten Freundin hat hier gelebt. Und ist vor einigen Tagen hier gestorben. Es gibt keinerlei Absperrungen, die Polizei scheint nicht von einem gewaltsamen Tod auszugehen. Der doppeltürige Kasten aus dunklem Holz steht halb offen. Es ist ein beklemmendes Gefühl, so in das Leben eines anderen Menschen einzudringen, ich tue es trotzdem. Ein brauner Mantel, der schwerer wirkt als warm, zwei, drei Jacken, einige gemusterte Blusen. Am Fuß des Kastens eine Schublade. Sie klemmt, ein Quietschen, bei dem ich zusammenzucke, Protest gegen meinen Übergriff, die Lade ist offen. Ich hab die Frau nicht gekannt. Eine hellblaue Decke aus Kunststoff, vergilbte Bettwäsche, einige DVDs, seltsame Mischung: „Der Kaiser von China“, zwei Kung-Fu-Filme, die Oper „Carmen“. Ein Geräusch an der Eingangstür. Wie ertappt schiebe ich die Lade zu, gehe die paar Schritte durch den Raum, in die Küche. Jana starrt, wie ich Minuten zuvor, auf den einsamen Hausschuh unter dem Stuhl. „Kann man so leben?“ Sie sieht mich irritiert an.
    Jana ist kein verwöhntes Kind. Meine Freundin Vesna ist mit ihr und ihrem Zwillingsbruder im Bosnienkrieg nach Österreich geflohen. Die ersten Jahre waren nicht gerade einfach. Jetzt studiert Jana Psychologie und Publizistik. Und Vesna hat es von der illegalen Putzfrau zur Chefin eines Reinigungsunternehmens
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