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Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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Schwanz ganz gerade aufgerichtet. Am Wochenende gibt es Hühnerherzen. Ihr Lieblingsessen. Eine ihrer vielen Lieblingsspeisen, die alle noch übertroffen werden von schwarzen Oliven. Wenn sie die bloß riecht, knallt sie durch. Der Typ im Radio hört auf zu reden. September Song. Lotte Lenya, melancholisch, mit ihrem deutschen Akzent, der nach Sehnsucht klingt. „Oh, it’s a long, long while from May till December …“
    Ob für Evelyn Maier auch einmal Mai war?

[ 2. ]
    Eigentlich dürfte ich wirklich nicht mehr zu spät kommen. Seit ich bei Oskar wohne, brauche ich nur zu Fuß durch ein Stück Wiener Innenstadt zu laufen, dann über die Donaukanalbrücke, und schon bin ich im „Magazin“. Und trotzdem: Heute ist es mir beinahe wieder gelungen. Ich keuche, als das Gebäude aus Beton und Stahl und Glas vor mir auftaucht. „LESEN SIE DAS!“ prangt in Riesenlettern an der Außenfassade. Zurückhaltend ist unsere Wochenzeitung nicht eben. Drei Minuten vor zehn renne ich am Empfangstisch vorbei, winke Marion, die immer noch von einer Modelkarriere träumt, springe in den Aufzug, in dem Menschen stehen, die ich nicht kenne. Seriös wirkende Anzugträger mit gesenktem Blick. Sie werden unser „Magazin“ doch nicht an irgendein ausländisches Konsortium verkaufen wollen? Ein klein wenig scheinen mir diese Anzugträger von Aasgeiern zu haben. Die dünnen Hälse, der faulige Geruch, den auch das feinste Rasierwasser nicht überdecken kann. Sie fahren in die Managementetage, ganz nach oben, ich steige im zweiten Stock aus dem Lift, eile ins Sitzungszimmer. Alle Ressortleiter und die paar Streber, die freiwillig an der Wochen-Redaktionssitzung teilnehmen, starren mich an. Du lieber Himmel, ich hab es komplett verdrängt: Der Chronikchef ist interimistischer Chefredakteur! Er liebt es überpünktlich. Vielleicht mag ich ihn auch deswegen nicht. Unser Chefredakteur ist für vier Wochen auf Urlaub in den USA. Ich sage: „Guten Morgen!“, versuche meinen Atem unter Kontrolle zu halten. Sie brauchen wirklich nicht zu wissen, dass ich gerannt bin. Ich setze mich. Ich bin zwar keine Ressortleiterin, aber ich habe einen Sondervertrag als Chefreporterin. Bin zuständig für die großen Reportagen. Und zur Teilnahme an dieser wöchentlichen Sitzung verpflichtet. Wir werden die Sache mit den Nazi-Buben im Umfeld des Dritten Nationalratspräsidenten weiterverfolgen, aber das muss nicht ich tun. Der einsame Tod von Evelyn Maier ist keine Story, die das „Magazin“ interessiert. Außer ich drücke voll auf die Tränendrüse. Und finde zwei Politiker, die übereinander herfallen. Am besten einen, der gegen jegliche Sozialhilfe ist und verkündet, es sei eben immer schon so gewesen, dass nur die Starken durchkommen. Und als Gegenpart einen, der unser Steuergeld auf jene umverteilen möchte, die sonst nichts haben. Gibt es solche Politiker überhaupt noch? Was übrig bliebe, ist klar: ein tragischer Einzelfall, schön traurig wie eine Soap im Vormittagsprogramm, und neues Geschwätz übers angeblich zu knappe Geld. Leben wir nicht in einem der reichsten Staaten? Oskar sollte mehr Steuern zahlen. Zahlt er nicht ohnehin viel? Jedenfalls zahlt er mehr als ich.
    Ich habe nicht aufgepasst. Alle sehen mich an. Offenbar bin ich an der Reihe. Ich räuspere mich. Droch grinst. Da gibt es nichts zu grinsen, mein alter Freund. Ich schlage eine Reportage über Armut in Österreich vor, quasi ein anderes Gesicht der Wirtschaftskrise. Ich erzähle von dem Häuschen, das man eher in der Ukraine oder in Rumänien vermuten würde, und sage, dass man dort sicher fotografieren könne. Denke ich zumindest. Evelyn macht es jedenfalls nichts mehr aus. Mehr noch, sie scheint die Dokumentation ihres Alltags geliebt zu haben.
    Der Chronikchef sieht mich betont gelangweilt an und reibt seine Fingernägel. „Und?“, fragt er in die Runde. „Was haltet ihr davon?“
    Schweigen. Na super. Dann räuspert sich ausgerechnet der Sportchef und sagt: „Das mit den Fotos klingt …“
    Der Chronikchef unterbricht ihn. „Unsinn. Die Wirtschaftskrise ist vorbei. Aber unsere Anzeigen sind noch nicht auf dem alten Niveau. Die Auflage muss steigen. Wer will in Zeiten wie diesen etwas über eine Substandardhütte lesen? Wollen die Leute das? Wenn wir keinen Skandal bieten können, dann sollten wir darüber nachdenken, wie wir unsere Leser aufmuntern können. Positives Denken ist gefragt! Und da kein Sexreport in Sicht ist …“, er sieht auffordernd in die Runde,
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