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Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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bekommt, und dann war es zu spät. Das Haus gehört einer Cousine von ihr. Sie hat es von ihrer Mutter geerbt. Die hat bis zum vergangenen Jahr hier gelebt.“
    „Und ist …“
    „Nein, die ist nicht da gestorben. Sie ist in ein Pflegeheim gekommen und dort war es dann mit ihr vorbei. Sie wollte nicht weg von hier.“
    „Kann man sich kaum vorstellen“, murmelt Jana, das Stadtkind.
    „Sehe ich auch so. Aber die Großtante, die hat ihr Leben lang in Lissenberg gewohnt. In das kleine Haus ist sie gezogen, als der Sohn die Wirtschaft übernommen hat und ihr Mann gestorben ist.“
    „Es gibt nicht einmal ein Klo.“
    „Es gibt ein Plumpsklo gleich hinterm Haus. Meine Tante lässt sich für die Bruchbude auch noch zahlen. Einmal in der Woche musste meine Mutter bei ihr putzen und bügeln – anstatt einer Miete. Meine Mutter hat es gehasst, aber es war ihre einzige Chance auf ein Dach über dem Kopf.“
    „Gibt es nicht so etwas wie Wohnungsbeihilfe?“, werfe ich ein.
    Die beiden scheinen erst jetzt zu merken, dass ich ihnen zugehört habe.
    Céline seufzt. „Ich glaube, ich bin inzwischen Expertin, was Sozialleistungen betrifft. Aber so einfach ist das alles nicht. Sie wollte keine ‚Almosen‘, wie sie es genannt hat. Andererseits war sie unfähig zu einer regelmäßigen Arbeit. Das haben auch Ärzte bestätigt. Aber sie hat kaum Versicherungszeiten gehabt, und für Wiedereingliederungsprogramme älterer Arbeitnehmer war sie zu jung. Ich hab dafür gesorgt, dass sie ihre Sozialhilfe bekommt, das war schwieriger, als man glauben möchte. Der Bürgermeister muss unterschreiben und der hat alles Mögliche versucht, dass meine Mutter ihren Hauptwohnsitz nicht nach Lissenberg verlegen kann. Wer will schon Sozialhilfeempfänger? Noch dazu, wo die Gemeinde ein Drittel zahlen muss.“
    Wir lehnen an der Tür zum Schuppen, grüne Wildnis auf dem schmalen Streifen zwischen Haus und Nebengebäuden. Weiße Wolken ziehen rasch, es ist angenehm warm für Anfang September. Eine Zeit lang sagt niemand etwas.
    „Handy ist wirklich verschwunden“, ruft Vesna und ich zucke zusammen. Sie steht im Hauseingang. „Ist es wirklich so wichtig?“, fragt sie dann in Célines Richtung.
    „Es war so etwas wie ihr bester Freund. Und den verliert man nicht einfach. Psychologisch würde man es wohl Ersatz für Sozialkontakte nennen.“
    „Und wie hat sie sich das leisten können?“ Vesna streicht sich eine Spinnwebe aus den Haaren.
    „Sie hat nicht viel telefoniert. Es war ein Wertkartentelefon. Ich habe ihr sogar eine Solaraufladestation geschenkt. Sie hatten ihr den Strom abgedreht, Mama war komplett verzweifelt. Nicht wegen des Lichts und nicht einmal wegen des Fernsehers, sondern wegen des Telefons. Ich hab das mit dem Strom dann geregelt, die Caritas hat ihr eine Überbrückungshilfe gegeben. Ich hab ihr auch immer Speicherkarten geschenkt, sie wollte nichts löschen, was sie aufgenommen hatte, und einen Computer gibt es ja nicht.“
    „Habe ich keine einzige Speicherkarte gesehen“, sagt Vesna nachdenklich.
    „Es sind so Minikarten, die hat die Polizei mitgenommen.“
    „Also ermitteln sie doch“, werfe ich ein.
    „Sie haben gesagt, dass sie ihre Ermittlungen schon abgeschlossen haben.“
    „Und wie reagiert dein … Ihr Bruder auf den Tod der Mutter?“
    Céline sieht mich an und lächelt ein wenig. „Mir ist das Du sehr recht. Mein Halbbruder? Keine Ahnung. Ich habe ihn angerufen. Er hat irgendetwas gefaselt, dass er das mit ihrem Tod nicht glaube, und dann ‚so eine Scheiße‘ oder so gesagt. Und gestern hab ich ihn angerufen und ihm eingeschärft, dass er heute herkommen soll. Na ja. Er scheint es vergessen zu haben.“
    „War er öfter hier?“, will Vesna wissen.
    „Ganz selten. Ich bin ihm zum letzten Mal zu Weihnachten begegnet. Ich hab Mama eine günstige Satellitenanlage gekauft, er hat sie montiert. Er ist an sich ziemlich geschickt, hat Elektriker gelernt, aber er hat die Lehre nicht fertig gemacht. Der Betrieb hat ihm gekündigt. Er hat gesagt, der Chef ist ein … ist ein sehr unangenehmer Mensch. Aber ich weiß nicht …“
    „Er ist jünger als du?“
    „Nein, er ist zweiundzwanzig, ein Jahr älter als ich.“
    „Wo finden wir ihn? Wo wohnt er?“ Vesna kramt in ihrer Tasche.
    „Weiß ich nicht. Das ändert sich auch immer wieder. Irgendwo in unserer Siedlung, in Floridsdorf. Man kann ihn anrufen.“
    Das Café ist Teil einer Einkaufspassage in einer der Massensiedlungen am Stadtrand von Wien.
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