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Inferno

Inferno

Titel: Inferno
Autoren: Edward Lee
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PROLOG

    Es ist ein endloser Kreislauf menschlichen Lebens, 5000 Jahre alt:
    Städte erheben sich, dann versinken sie.
    Doch was ist mit dieser Stadt?

    Der Mann schleppt sich mühsam die Straße hinunter. Auf dem Straßenschild steht: ISCARIOT AVENUE.
    Er trägt einen abgetrennten Kopf auf einem Stab. »Haben Sie vielleicht etwas Kleingeld für mich?«, fragt der Kopf die Passanten. Der Mann selbst kann nicht sprechen; sein Körper ist halb verwest. Eine Augenhöhle ist leer, kleine, mit Fangzähnen bewehrte Milben tummeln sich in seinem Haar. Seine Haut ist voller Pusteln, dank der neuesten städtischen Infektion, und die Zunge wurde schon vor langer Zeit von Ungeziefer in seinem Mund verzehrt.
    Auf hochhackigen Schuhen stöckelt eine gut gekleidete Frau vorbei, die einen eleganten Hut trägt. Ihr mit Pelz gefütterter Trenchcoat ist aus gemusterter Menschenhaut, aus der glatten, schmalen Stirn sprießen winzige Hörner. Eine Dämonin aus einem der Villenviertel.
    »Haben Sie vielleicht ein bisschen Kleingeld für mich, Ma’am?«, fragt der Kopf.
    Im Vorbeigehen legt die Dämonin dem Mann mit dem Kopf auf dem Stab ein glänzendes 25-Cent-Stück in die ausgemergelte Hand. Das Geldstück ist nicht mit dem Gesicht George Washingtons geprägt, sondern mit dem des Serienmörders Richard Speck.
    »Vielen Dank auch«, ruft der abgetrennte Kopf der Dämonin hinterher.

    Hier wird recycelt.
    Trolle eines städtischen Altstoffsammeltrupps verfrachten jede Art von Leichnam von den Straßen in die riesigen Abfallcontainer einiger mit Dampf betriebener Fleischkipper. Irgendwann tuckern die Kipper dann durch das Eingangstor der Industriezone und entleeren ihre Fuhre in die Sammelbehälter einer typischen städtischen Wertstoffanlage. Das Blut wird zur Destillierung herausgefiltert, Fleisch als Nahrungsmittel filetiert, die Knochen getrocknet und zur Zementherstellung gemahlen. Verschwendet wird hier wahrlich nichts.
    Lastkähne, gesteuert von Golems, treiben auf der braunen, zähen Oberfläche eines Flusses namens Styx und pumpen ungeklärte Abwässer in die häuslichen Wassertanks der Stadt hinein. Gewaltige Hochöfen verbrennen Schwefel ausschließlich zu dem Zweck, die Luft zu verpesten. Abzugsschächte in den Silos der Hochöfen leiten die dabei entstehende glühende Hitze um und halten damit die örtlichen Gefängnisse unerträglich heiß. Mit dem Haar der Toten werden Kissen und Matratzen für die dämonische Elite gestopft.
    Selbst Seelen werden wieder verwendet. Wenn ein Körper hinlänglich zerstört ist, wird die Seele in eine niedrigere Spezies übertragen. Endloses Leben im ewigen Tod.
    Die meisten Städte beziehen ihre Energie aus Elektrizität, aber diese Stadt bezieht sie aus dem Grauen. Das Leiden dient als wandelbare Energie; der Schrecken ist die wertvollste natürliche Ressource der Stadt und wird hier als Treibstoff erschlossen. Industriealchemisten und städtische Magier machen sich mithilfe fortschrittlicher Hexenkunst die synaptische Aktivität zunutze, die ununterbrochen zwischen den Neuronen zündet und deren Produktion überwiegend von Schmerz herrührt. In den summenden Kraftwerken werden die bedauernswertesten Bewohner der Stadt gefangen gehalten, kopfüber vor Steintafeln hängend und systematisch gefoltert. Die Folter endet nie – da die Bedauernswerten niemals wirklich sterben. Sie hängen einfach da, oft jahrhundertelang, und winden sich in unablässigem Schmerz, dessen Energie aus ihren freigelegten Gehirnen in die riesigen Generatoren geleitet wird.
    Eine einzige menschliche Seele kann genug Energie erzeugen, um einen ganzen Häuserblock mit Licht zu versorgen – für immer.

    Enthaupten, Ausweiden und Verstümmeln gehört zu den wichtigsten Fähigkeiten im öffentlichen Dienst, und darin sind die Schergen wahre Meister. Ihre Klauen sind so verheerend wie frisch gewetzte Sensen, der Kiefer mit dem hundeähnlichen Gebiss kann durch ein Eisenrohr – oder einen menschlichen Hals – beißen, als sei es eine Papprolle.
    Schergen sind eine von mehreren dämonischen Spezies, die speziell zum Einsatz bei städtischen Unruhen und Problemen mit öffentlichem Ungehorsam gezüchtet wurden. Im engeren Sinne Polizeibeamte.
    Hier ist die Polizei allerdings kein Freund und Helfer; sie ist dazu da, den Terror durch unvorstellbare Grausamkeit aufrechtzuerhalten. Häufig werden ganze Bataillone von Schergen geschickt, um wahllos Bürger hinzurichten.
    Sie halten das Volk auf Trab.
    Aus der wie ein Amboss
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