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Inferno

Inferno

Titel: Inferno
Autoren: Edward Lee
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die letzte Runde ausgerufen wurde. Als sie sich wieder an der Bar einfand, gab Radu ihr noch ein Bier aus, aber sie konnte Lissa nicht entdecken. Er rief ihr etwas zu, als wollte er ihre Abwesenheit erklären, doch seine Stimme ging in den dröhnenden Riffs und Rhythmen unter.
    Normalerweise wurde sie nach so viel Bier langsam depressiv; so war es immer. Doch nicht heute. Sie fühlte sich vielmehr belebt, hatte sich heute Abend wirklich amüsiert, trotz der ätzenden gegenteiligen Prophezeiung ihrer Schwester. Der nächste Song war ein Stück von Death in June, einer Band, die Cassie noch nie gemocht hatte. Ihr kamen die Texte kryptofaschistisch vor, deshalb schlenderte sie in den hinteren Teil des Clubs, überlegte, ob sie aufs Klo gehen sollte, scheute aber vor der Schlange schwatzender, kichernder Mädchen vor der Tür zurück.
    Ziellos wanderte sie herum. Spät nach Hause zu kommen würde heute keine Probleme geben – ihr Vater war in New York, wieder einmal auf einer Geschäftsreise. Aber Lissa würde fahren müssen. Ich bin zu betrunken . Apropos: Wo war Lissa denn eigentlich?
    Sie konnte sie nirgends entdecken. Vielleicht auf dem Klo? Seitlich stand eine Tür einen Spalt auf, und Cassie schlüpfte hindurch.
    Keine Lissa. Es war nur ein Hinterzimmer, ein Vorratsraum, dunkel, voller Schachteln und leeren Getränkekisten. Und dann – würg! – breitete sich ein bitterer Geschmack in ihrem Mund aus, gleichzeitig spürte sie etwas Körniges auf der Zunge. Als sie ihre Holsten-Dose unters Licht hielt, sah sie darin eine halb aufgelöste blassgrüne Pille schwimmen. Diese Arschlöcher , dachte sie. Sie warf die Dose weg, und ihr wurde klar, warum sie sich heute so angenehm melancholisch gefühlt hatte. Was soll’s, ich werd’s schon überleben . Dann ertappte sie sich dabei, wie sie ein altes Bauhaus-Poster an der Wand anstarrte, auf dem die vier Bandmitglieder in einer Art-déco-Gruft posierten.
    »Kannst du das fassen? Das sind auch schon alte Knacker. Vierzig mindestens.«
    Radus Stimme schreckte sie auf. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Der unerwartete Anblick seiner nackten Brust und der sich abzeichnenden Bauchmuskeln brachte sie noch mehr aus der Fassung als seine Stimme. Er sieht so gut aus , schoss es ihr durch den Kopf. Draußen hörte sie die ersten Takte des letzten Songs für heute: »The Girl at the End of My Gun« von Alien Sex Fiend.
    »Du hast mir das Ecstasy ins Bier getan, oder?«
    Er hielt die Hände hoch.
    »Ich gestehe. Deine Schwester hat mich angestiftet. Es war auch nur ganz wenig, und außerdem wirkt es wie ein Anti-Depressivum. Deine Schwester meinte, du wärst deswegen beim Seelenklempner.«
    Verflucht noch mal . »Das geht dich einen Scheißdreck an.« »Aber du hast dich doch heute amüsiert?«
    Pause. »Schon …«
    Er kam einen Schritt näher, lässig, man konnte die Bewegungen seiner Muskeln unter der straffen Haut sehen. »Deshalb sind wir doch hier, um uns zu amüsieren.«
    Seine Stimme klang weit entfernt. Sie wollte sich nicht von seinem durchtrainierten Körper so nah bei ihr ablenken lassen, doch als das Bild wieder vor ihr auftauchte, Lissa und er, die sich küssten, da sah Cassie ihren eigenen Mund auf seinem. Sie fragte sich, wie es wohl wäre. Süße achtzehn und noch nie geküsst worden , dachte sie. Dafür wieder mal betrunken. Alles wie gehabt .
    »Wo ist Lissa überhaupt?«
    Sein Lächeln vermischte sich mit einem Stirnrunzeln. »Wir haben uns vorhin gestritten. Eine meiner Exfreundinnen kam rein und fing an, mit mir zu flirten. Normalerweise macht Lissa so was nichts aus, sie ist ziemlich abgeklärt. Aber heute ist sie stinksauer abgerauscht.«
    »Wehe, sie ist ohne mich gefahren«, murmelte Cassie.
    »Sie muss hier noch irgendwo sein. Sobald sie sich beruhigt hat, kommt sie zurück.« Er zuckte die Achseln, als wollte er seiner Unschuld Ausdruck verleihen. »Unser Arrangement war sowieso ihre Idee.«
    Arrangement ? »Was meinst du damit?«
    Noch ein Achselzucken. »Ach, du weißt schon. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir auch mit anderen Leuten was haben können, total unverkrampft. Ist ja nichts Neues. Sie akzeptiert meine Bedürfnisse, und ich akzeptiere, dass sie noch so lange Jungfrau bleiben will, bis sie bereit ist.«
    Die beiläufige Bemerkung versetzte Cassie einen Stoß. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt. »Soll das heißen, ihr beide habt noch nie …«
    »Nein. Sie will es im Moment so. Und ich respektiere das. Ich liebe sie.«
    Cassie war
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