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Inferno

Inferno

Titel: Inferno
Autoren: Edward Lee
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Club.
    Nicht das Goth House.
    Für Cassie und so viele andere war der Club ein Tempel, ein Ankerplatz für das eigentümliche Schiff, auf dem sie alle segelten. Er war weit mehr als nur der neueste Hype in der Clubszene, und dafür war Cassie mehr als dankbar. In einer sich ständig verändernden Popgesellschaft, die jede Woche eine neue Version von Eminem präsentierte und zum Ausdruck einer Subkultur stilisierte, oder seichte Teenie-Glamourdiva-Schlampen mit Glitzerhosen und blondiertem Haar, die noch nicht mal Noten lesen konnten, geriet die Symbolik von Goth House nie ins Wanken. Die dunkle Musik und der Stil leidenschaftlicher, dunkler Gemüter. Hier herrschten Bauhaus und Christian Death, wie schon seit zwanzig Jahren. Es gab keine Dixie Chicks, keinen Ricky Martin. Keine Spice Girls.
    Sie würden mindestens eine Stunde anstehen müssen, und außerdem waren Cassie Heydon und ihre Schwester drei Jahre zu jung: EINLASS AB 21 JAHREN stand auf einem unübersehbaren Schild an der Tür.
    Cassie runzelte die Stirn. Es geht nicht darum, wen du kennst, es geht darum, wen du … Sie musste den Satz nicht zu Ende denken. Sie wusste, was ihre Schwester gerade machte; sie konnte ihren Schatten in der Seitengasse vor dem fetten, ungepflegten Türsteher knien sehen. Dank dieses Talents und ihrer Bereitschaft, es einzusetzen, hatte Lissa bereits einen gewissen Ruf an ihrer Schule. Das machte die Sache noch schlimmer.
    »Ich mache es ständig«, hatte sie Cassie vorher erklärt. »Es macht irgendwie Spaß, und außerdem ist es die einzige Möglichkeit für uns, da reinzukommen. Du willst doch rein, oder etwa nicht?«
    »Schon, aber …«
    »Du willst dich doch wohl nicht in dieser Schlange anstellen?«
    »Nein, aber …« »Schon gut. Überlass das einfach mir.«
    Punkt. Damit war die Angelegenheit geregelt, Cassies Einwände zerstreut. Sie versuchte, sich nicht bildlich vorzustellen, was gerade in der Seitengasse vor sich ging. Stattdessen stand sie an der Ecke und klopfte mit den hochhackigen Schuhen auf das Pflaster, während sich langsam die Dämmerung über die Stadt senkte. Die Geräusche von Sirenen in der Ferne vermischten sich mit den Sounds, die aus den anderen Clubs auf die Straße strömten. Dies war die Hauptstadt der Gewalt. Nur ein paar Straßen weiter hatte ein ehemaliger Bürgermeister in einer Stripbar ein paar Prostituierte aufgegabelt und mit ihnen Crack geraucht. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis war er wiedergewählt worden. So was gibt es nur in D.C. , dachte Cassie sarkastisch. Wenn man zwischen den Hochhäusern rechts hindurchspähte, konnte man das Weiße Haus unmittelbar neben verwahrlosten Reihenhäusern entdecken, in denen sich die Junkies dieser Gegend regelmäßig zum Fixen trafen. Ein weiteres Wahrzeichen, prachtvoll erleuchtet und für jedermann gut sichtbar: das Washington Monument. Erst letzte Woche hatte wieder ein Terrorist versucht, es mit einem um die Brust geschlungenen Dynamitgürtel in die Luft zu sprengen. So etwas passierte etwa zweimal im Jahr, und weder das noch die Schießereien, noch der aggressive Straßenverkehr, noch die Politiker, die sich eher wie Mafiabosse verhielten, konnten die Bevölkerung noch schocken. Zumindest war D.C. ein sehr interessanter Ort zum Leben.
    Jetzt komm schon, beeil dich , dachte sie und klopfte immer noch nervös mit dem Fuß auf den Boden. Ein weiterer schneller Blick in die Seitengasse zeigte ihr, dass die Bewegungen ihrer Schwester rascher wurden, der Kopf der knienden Silhouette bewegte sich immer schneller vor und zurück. Selbst wenn Cassie einen Lover hätte – was noch nie der Fall gewesen war -, würde sie bestimmt niemals tun, was sie da gerade beobachtete. Wenn nicht die Liebe eines Tages ihre bitteren Gefühle ändern würde.
    Klar , dachte sie zynisch. Eines Tages.
    Ein paar Minuten später erhob sich Lissas Schatten wieder. Das wurde aber auch Zeit! , dachte Cassie. Ihre Schwester winkte sie zu sich in die Seitengasse und flüsterte: »Komm schon, wie müssen zum Hintereingang rein.«
    Die Seitengasse stank; Cassie zog eine Grimasse, als sie hindurchstakste. Hoffentlich würde sie sich nicht die nagelneuen schwarzen Stilettos versauen. Und hoffentlich kamen diese quietschenden Geräusche nicht von Ratten. Eine Spritze zerbrach knirschend unter ihrem Absatz.
    Während er noch seine unförmige Hose zumachte, zwinkerte der Türsteher ihr zu. Vergiss es, Fettsack , dachte sie. Lieber springe ich von der Wilson Bridge . Die dumpfe
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