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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition)
Autoren: Stephen Fry
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    Es beginnt mit einem Traum …
     
    Alles beginnt mit einem Traum. Diese Geschichte kann wie ein Kreis überall und nirgends beginnen, aber für mich – und es ist schließlich meine Geschichte, nicht die eines anderen, und wird auch für alle Zeit meine Geschichte bleiben – beginnt sie mit dem Traum einer Mainacht.
    Es war ein wüster Traum. Jane kam darin vor, steif und gestärkt wie eine Hotelserviette. Er war auch da, obwohl ich ihn natürlich nicht erkannte. Damals war er mir ja noch praktisch wildfremd, einfach ein alter Mann, den man auf der Straße grüßte oder dem man mit einem höflichen Lächeln die Bibliothekstür aufhielt. Der Traum verjüngte ihn, machte aus dem klapprigen alten Zottelbär mit Leberflecken den Barkeeper eines Mack-Sennett-Films, dem man einen herabhängenden, schwarzen Schnauzbart in das bleiche und hohlwangige Armesündergesicht geheftet hatte.
    Ausgerechnet sein Gesicht. Nicht, daß ich es damals erkannt hätte.
    Im Traum standen Jane und er im Labor; Janes Labor natürlich – die Prophezeiung des Traums reichte nicht so weit, die Abmessungen seines Labors vorherzusagen, die ich erst später kennenlernen sollte – falls der Traum überhaupt prophetisch war, was keineswegs zwingend notwendig ist. Können Sie mir soweit folgen?
    Puh, das wird gar nicht so einfach.
    Jedenfalls linste sie in ein Mikroskop, während er sie von hinten begrabschte und unter ihrem langen weißen Kittel zwischen den Beinen streichelte. Sie ignorierte ihn, aber ich war empört, einfach empört, denn als das weiche Kratzen seiner Hände auf dem Nylon aufhörte, wußte ich, daß seine Finger ganz oben an ihren langen Beinen angekommen waren,wo die Strümpfe endeten und das weiche heiße Fleisch begann – weiches heißes Fleisch, das mir gehörte.
    »Laß sie in Ruhe!« rief ich von einem unsichtbaren Regiestuhl aus, der sich gleichsam hinter der Kamera des Traums befand.
    Er sah mit seinen traurigen Augen zu mir herüber, und ich war wie immer gebannt von ihrem leuchtend blauen Strahlen. Oder ich sollte immer von ihnen gebannt sein, denn im wachen Leben hatte ich ja noch kein einziges Wort mit ihm gewechselt.
    »
Wachet auf!
« sagt er auf deutsch.
    Und ich gehorche.
    Der sonnige Maimorgen hellt das schmutzige Beige der dreckigen Vorhänge auf, für die wir schon seit Ewigkeiten Ersatz kaufen wollen.
    »Morgen, Schatz«, murmle ich. »Das war ein Double Gloucester … meine Mutter hat ihren Träumen immer Käsenamen gegeben.«
    Aber sie ist nicht da. Ich meine Jane, nicht meine Mutter. Das heißt, meine Mutter ist auch nicht da. Bestimmt nicht. So eine Geschichte ist das erst recht nicht.
    Janes Betthälfte ist kalt. Ich horche auf das Rauschen der Dusche oder das Klirren von Teetassen, die ungeschickt auf der Ablauffläche abgestellt werden. Außerhalb ihres Labors ist Jane die Ungeschicklichkeit in Person. Sie hat die Angewohnheit, den Kopf von dem abzuwenden, womit ihre Hände gerade beschäftigt sind, wie eine zartbesaitete Schwesternschülerin, die einen blutigen Blinddarm hochhält. Sie streckt beispielsweise die Hand mit einem Zigarettenstummel nach links zu einem Aschenbecher aus, sieht dabei jedoch nach rechts und drückt die Zigarette in einer Untertasse, einem Buch, auf dem Tischtuch oder einem Teller mit Essensresten aus. Unkoordinierte Frauen, kurzsichtige Frauen, hoch aufgeschossene, unbeholfene, linkische Frauen haben schon immer eine ungeheure Faszination auf mich ausgeübt.
    So langsam werde ich wach. Die letzten Traumbläschen sprudeln davon, und ich stehe vor der allmorgendlichen Aufgabe, mein Selbst neu zu erfinden. Ich starre an die Decke und erinnere mich an alles Nötige.
     
    Wir lassen mich im Bett liegen, bis ich mich wieder zusammengesetzt habe. Ich weiß nicht genau, ob ich diese Geschichte in der richtigen Reihenfolge erzähle. Sie ist, wie gesagt, von jedem Punkt aus zugänglich wie ein Kreis. Sie ist leider auch wie ein Kreis von jedem Punkt aus
un
zugänglich.
    Geschichte ist mein Metier.
    Schon der erste Fehlstart. Geschichte ist alles andere als mein
Metier
. Immerhin beschreibe ich die Geschichte inzwischen nicht mehr als meine »Branche«, wofür ich vielleicht ein paar Punkte verdient habe. Geschichte ist meine Leidenschaft, meine Berufung. Oder um mit der schmerzlichen Wahrheit nicht hinter dem Berg zu halten, sie ist das Gebiet meiner geringsten Unwissenheit. Sie ist die Beschäftigung, der ich im Moment nachgehe. Mit etwas mehr Geduld und Disziplin
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