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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition)
Autoren: Stephen Fry
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Straße und stellten jene Melange aus Lebensmüdigkeit und aufgeblasenem Schwung zur Schau, die ihre Existenzberechtigung darstellt. Ich konnte mir das als Student nicht leisten. Ich mußte auf mein Image achten. Allein schon diese Angewohnheit von Studenten, ihre Namen über die Straße zu posaunen.
    »Lucius! Biste doch noch zu der Fete gegangen?«
    »Kate!«
    »Dave!«
    »Mark, man sieht sich, Mann!«
    »Bridget, hi, Babe!«
    Wenn ich nicht dazugehörte, müßte ich kotzen.
    Ich erinnerte mich an ein riesiges Graffito in der Downing Street, das ungefähr zur Zeit des Zusammenbruchs des Kommunismus angebracht worden sein mußte und das am Backstein des Museums für Archäologie und Anthropologie immer noch trotzig und deutlich zu lesen war.
     
    HIER KOMMT DIE MAUER NICHT WEG.
    KILLAGRAD 85
     
    Einem Kind, das in Cambridge aufgewachsen ist, kann man wohl kaum Vorwürfe machen, wenn es sich wieder als Klassenkämpfer aufführt. Stellen Sie sich vor, Sie sind Ihr ganzes Leben von langhaarigen Fabiern und neureichen Gymnaseweisenmit Baseballmützen umgeben, die Geld und Aussehen, Geld und Wuchs, Geld und Appeal, Geld und Bücher und Geld und Geld mitbringen. Wichser.
    Wichser! schrien die Klassenkämpfer einem in Stadionchören zu. Wich-ser! Von anschaulichen Gesten begleitet.
    Killagrad 85. Das Museum für Archäologie und Anthropologie sollte die verblichenen Schriftzüge restaurieren lassen und als sein wertvollstes Exponat hegen und pflegen, ein Fresko mit mehr Aussagekraft als all die keltischen Amulette in Vitrinen, all die angestrahlten Gefäße der Inkas und Nasenknochen aus Borneo.
    Ein Kollege aus Oxford (es ist einfach herrlich, sein Studium abgeschlossen zu haben, ein Junior Bye Fellow zu sein und Wörter wie »Kollege« benutzen zu können), ein Kollege also, ein Mithistoriker, hat mir von einem Foto erzählt, das dort in einer Galerie hing. Eigentlich waren es zwei Fotos, Seite an Seite, die zwei verschiedene Glascontainer zeigten. Der eine war am Stadtrand von Cowley aufgenommen worden, in der Nähe der Autowerke. Der Container war wie alle Altglascontainer in drei Abteilungen unterteilt, deren Anstrich den Glassorten entsprach, die für sie bestimmt waren. Es gab also eine weiße Abteilung für durchsichtiges Glas, eine grüne für Weinflaschen und schließlich noch – dreimal so breit wie die beiden anderen – eine braune Abteilung für Bierflaschen. Das zweite Foto schien auf den ersten Blick dasselbe Motiv zu zeigen, wieder ein Glascontainer, aber diesmal mitten in Oxford auf dem Campus aufgenommen. Nach der ersten Verwirrung war der Unterschied einfach umwerfend. Eine weiße Abteilung, eine braune Abteilung und, aufgepaßt, dreimal so breit wie die beiden anderen, eine
grüne
Abteilung. Was braucht man mehr über die Welt zu wissen? Das Foto dieser beiden Glascontainer sollte man zum Sendeschluß als Standbild ausstrahlen, untermalt von der Nationalhymne.
    Nicht, daß ich zu einer Generation gehörte, die angesichtssozialer Ungerechtigkeit Bambule machte, alle Welt weiß schließlich, daß Politik uns piepegal ist. Wir alle wollen nur einen Job, und verdammt noch mal,
Liebe
geht vielleicht durch den Magen, aber
Karriere
durch den Darm. Im übrigen bin ich Historiker. Ein Historiograph, wenn ich bitten darf.
    Ich richtete mich im Sattel auf, kreuzte die Arme vor der Brust, radelte freihändig an der University Press vorbei und summte einen Song von Oily-Moily.
     
    I’ll never be a woman
    I’ll never be you
     
    Ich habe irgendwann die Übersicht verloren, wie viele Fahrräder ich im Lauf der letzten sieben Jahre besessen habe. Mein jetziges Modell ist ausnahmsweise so gut ausbalanciert, daß ich freihändig fahren kann, was ich voll abgespacet finde.
    Mit dem Fahrraddiebstahl in Cambridge sieht es ähnlich aus wie mit dem Autoradiodiebstahl in London oder dem Handtaschenraub in Florenz – er ist eine Landplage. Jeder Drahtesel trägt auf dem hinteren Schutzblech eine elegante und überflüssige Nummer. In längst vergangenen Zeiten, die für die Stadt schmachvoll hätten sein sollen, hat man sogar ein Projekt angeleiert. Gott bewahre uns vor Projekten, hab ich nicht recht? Die Stadtväter kauften Tausende von Fahrrädern, ließen sie grün lackieren und stellten sie über die ganze Stadt verteilt in kleinen Fahrradparks auf. Dahinter stand die Vorstellung, man könne sich einfach auf ein Rad schwingen, fahren, so weit man wolle, und es dann einfach für den nächsten Benutzer auf der Straße
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