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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition)
Autoren: Stephen Fry
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hielt die Tasche hoch, die das Meisterwerk beherbergte. »Ich habe meine Doktorarbeit abgeschlossen.«
    »Aha«, sagte Bill und widmete sich wieder seinem Schreibtisch.
    Wäre ja auch zuviel verlangt, daß er sich über meinen Triumph freuen sollte. Wer wird wohl je die peinliche Dialektik von Herr und Knecht im ausgehenden 20. Jahrhundert durchschauen? Es ist schon riskant, es eine Dialektik von
Herr
und
Knecht
zu nennen. Die Pförtner hatten ihre »Sirs«, »Ma’ams« und konnten ihre Melonen lüpfen, und wir hatten unser dümmliches, übertriebenes und katzbuckelndes Grinsen, um die Standesunterschiede zu kaschieren. Wir würden nie erfahren, wie sie uns hinter unseren Rücken nannten. Und sie würden vermutlich nie erfahren, was wir eigentlich den lieben langen Tag so trieben. Vielleicht malten auch die Pförtnersöhne und -töchter das
Killagrad 85
an die Wände. Bill wußte, daß die einen Studenten weitermachten, Dissertationen schrieben und als Fellows am College endeten, während die anderen durchfielen oder in die Welt hinauszogen, um reich, berühmt oder vergessen zu werden. Vielleicht machte er sich darüber Gedanken, vielleicht auch nicht. Nichtsdestoweniger wäre mir etwas mehr Denholm Elliott in
Trading Places
und etwas weniger Judith Andersonin
Rebecca
ganz lieb gewesen. Finden Sie nicht? Doch? Na also.
    »Natürlich«, sagte ich mit hoffentlich reuiger Bescheidenheit und wog die Aktentasche in der Hand, »müssen die Gutachter sie sich jetzt erst einmal anschauen …«
    Seine einzige Reaktion bestand in einem Grunzen, also wandte ich mich ab, um nachzusehen, was mir die Post beschert hatte. Ein dickes gelbes Päckchen ragte aus meinem Postfach. Cool! Sanft zog ich es heraus.
    Auf dem Absender stand das Logo eines deutschen Verlages mit einem geschichtswissenschaftlichen Programmschwerpunkt. Seligmanns Verlag. Der Name war mir aus meinen Recherchen natürlich ein Begriff, aber verflixt, wie war man dort bloß auf
meinen
Namen gekommen? Ich hatte nie mit ihnen korrespondiert. Sehr merkwürdig. Und ich hatte bestimmt auch keine Bücher bei ihnen bestellt … aber vielleicht hatten sie ja irgendwie von mir gehört und fragten an, ob ich Interesse hätte, mein Meisterwerk bei ihnen zu veröffentlichen. Megacool!
    Die Publikation meiner Doktorarbeit war natürlich mein größter, tiefster, liebster und innigster Herzenswunsch. Und dann auch noch beim Seligmanns Verlag, wow, das wäre wirklich ein roter Tag im Kalender.
    Zukunftsträume, Visionen und Wolkenkuckucksheime schossen vor meinem inneren Auge in die Höhe wie der Neubau von Hochhäusern im Zeitraffer; Balken und Giebelsäulen, Stahlträger und Dachsparren flogen zu fröhlicher Xylophonmusik an Ort und Stelle. Ich war schon da, im vollständig eingerichteten und restlos vermieteten Michael Young Tower, nahm Auszeichnungen und Ehrendoktortitel entgegen und signierte liebevoll gestaltete Exemplare meiner beim Seligmanns Verlag erschienenen Dissertation (ich konnte sogar die Farbe des Buches erkennen, die Schrifttype, die Umschlagillustration und das Foto des Autors in würdevoller Pose über dem Klappentext), und all das in der gegennull gehenden Zeitspanne, nachdem ich den Briefkopf gelesen hatte und bevor ich mit quietschenden Bremsen, qualmenden Reifen und sich aufblähendem Airbag den tatsächlichen Adressaten entzifferte. Metaphorisch mittelprächtig verkorkst, aber Sie wissen schon, was ich meine.
    »Professor L. H. Zuckermann«, stand da, »St. Matthew’s College, GB – Cambridge CB3 9BX.«
    Oh. Also nicht für Michael Young MA.
    Ich warf einen Blick auf das Postfach unter meinem. Es war bis zum Platzen gefüllt mit Briefen, Flugblättern und Ankündigungen. Alphabetisch kam an letzter Stelle, noch unter »Young, Mr. Michael D.« »Zuckermann, Prof. Leo«. Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen, als ich den Adreßaufkleber anstarrte.
    »Mist«, sagte ich und versuchte, das Päckchen bei seinem rechtmäßigen Empfänger festzukeilen.
    »Sir?«
    »Ach, nichts. Da lag bloß eine Sendung für Professor Zuckermann in meinem Postfach, und sein Postfach ist voll.«
    »Sie können es mir geben, Sir. Dann sorge ich dafür, daß er es bekommt.«
    »Danke, nicht nötig, ich bring’s ihm vorbei. Vielleicht kann er mir sogar helfen … mir ein Empfehlungsschreiben für Verleger mitgeben. Wo hängt er denn rum?«
    »Hawthorn Tree Court, Sir. 2A.«
    »Wer ist das überhaupt?« fragte ich, während ich das Päckchen in meine Tasche schob. »Ich
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