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Falscher Ort, falsche Zeit

Falscher Ort, falsche Zeit

Titel: Falscher Ort, falsche Zeit
Autoren: Walter Mosley
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    »Schmeckt es dir nicht?«, fragte Katrina, seit dreiundzwanzig Jahren meine Frau.
    »Es ist köstlich«, sagte ich. »Alles, was du kochst, ist immer fantastisch.«
    In der Ecke stand ein Schränkchen aus Walnussholz, in dem früher unser erster Schallplattenspieler untergebracht war. Jetzt beherbergte es Katrinas sorgsam gehegte Blue-Danube-Porzellansammlung, die sie von ihrer Lieblingstante Bergit geerbt hatte. Auf dem Schränkchen stand ein altes Einmachglas – als provisorische Vase für einen Strauß kleiner Wildblumen in allen Farben von Dunkelrot über Kornblumenblau bis Weiß.
    »Aber du runzelst die Stirn«, sagte meine schöne skandinavische Gattin. »Woran denkst du?«
    Ich blickte von meinem Filet mignon an Gorgonzolasalat auf und betrachtete die Blumen. Meine Gedanken taugten nicht für eine Unterhaltung mit Frau und Kindern am Abendbrottisch.
    Ich habe jetzt einen Freund , hatte Aura Ullman mir am Morgen erklärt. Ich wollte es dir erzählen. Ich wollte nicht das Gefühl haben, als würde ich dir etwas verheimlichen .
    »Woher hast du die Blumen, Mom?«, fragte Shelly.
    Er heißt George , hatte Aura mir weiter erklärt, und das traurige Mitgefühl in ihrer Stimme war auch an ihrem Gesicht abzulesen.
    Ich hatte keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Auraund ich waren in den acht Monaten Geliebte gewesen, in denen Katrina mich für den Investmentbanker Andre Zool verlassen hatte. Ich liebte Aura, doch ich gab sie auf, als Katrina zurückkam, nachdem Andre wegen Betrugs angeklagt worden war, weil ich das Gefühl hatte, dass Katrina die Strafe für all das Unrecht war, das ich in einem langen Verbrecherleben begangen hatte.
    »Ich hab sie im Laden an der Ecke gesehen und gedacht, sie könnten unser Abendessen aufhellen«, erklärte Katrina ihrer Tochter.
    Shelly hatte versucht, ihrer Mutter zu vergeben, dass sie mich verlassen hatte. Sie studierte im zweiten Jahr am City College New York und war die leibliche Tochter eines anderen Mannes, was sie jedoch nicht wusste. Zwei meiner Kinder waren außerehelich gezeugt worden; nur mein Ältester, der mürrische und schweigsame Dimitri, der immer so weit von mir entfernt wie möglich saß, war von meinem Blut.
    Liebst du ihn? Das hatte ich Aura eigentlich nicht fragen wollen. Ich wollte die Antwort nicht wissen und auch keine Verwundbarkeit zeigen.
    Er ist sehr nett … und manchmal fühle ich mich einsam.
    »Und?«, fragte Katrina.
    Diese Blumen und das Echo von Auras Stimme in meinem Kopf machten mich so wütend, dass ich laut fluchen oder mit der Faust auf den Teller schlagen wollte.
    »Hallo, zusammen«, sagte Twill. Er stand in der Esszimmertür, schlank und dunkel, attraktiv und makellos bis auf eine kleine sichelförmige Narbe am Kinn.
    »Du bist zu spät«, tadelte Katrina meinen Lieblingssohn.
    »Du weißt doch, Moms«, erwiderte der siebzehnjährige Mann. »Bei all dem, was ich zu tun habe, kann ich froh sein, wenn ich überhaupt nach Hause komme. Die Bewährungshilfe hat mir einen Job im Supermarkt vermittelt, nach der Schule. Damit ich nicht auf dumme Gedanken komme.«
    »Es ist kein Bewährungshelfer, sondern ein Sozialarbeiter für straffällig gewordene Jugendliche«, sagte ich.
    Twill einfach nur zu sehen, erfüllte den Raum mit Leichtigkeit.
    »Es ist kein Er«, sagte Twill und setzte sich auf den Stuhl neben mir. »Miss Melinda Tarris möchte, dass ich drei Nachmittage die Woche arbeite.«
    »Und sie hat recht«, fügte ich hinzu. »Du brauchst etwas, um dich abzulenken, damit du keinen Ärger kriegst.«
    »Nicht Typen wie ich kriegen Ärger, Pops«, flötete Twill. »Ich rede so viel und kenne so viele Leute, dass ich mit gar nichts durchkomme, ohne dass irgendwer mich dabei sieht. Den meisten Ärger kriegen die Stillen. Hab ich recht, Bulldog?«
    »Kannst du nicht mal zur Abwechslung die Klappe halten?«, brummte der mürrische Dimitri.
    Twills Spitzname für seinen älteren Bruder passte. Dimitri war wie ich klein, grobknochig und kraftvoll, obwohl er kaum trainierte. Seine Haut war nicht ganz so dunkelbraun wie meine, aber man konnte mich in jedem seiner Züge wiedererkennen. Ich fragte mich, warum er so wütend über die Hänselei seines Bruders war. Michhatte Dimitri nie besonders gemocht, aber er liebte seine Geschwister. Und besonders eng war er mit Twill, der wiederum so extrovertiert war, dass er meist nur fünf Minuten in einem Zimmer verbringen musste, und schon war eine Party im Gang.
    »Leonid?«
    »Ja, Katrina?«
    »Ist alles in
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