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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition)
Autoren: Stephen Fry
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Geschichte eingehender befaßt haben, werden Sie verstehen, daß mir einige Probleme unüberwindbar vorkommen. Der Historiker, hat mal jemand gesagt – Burke, glaube ich, vielleicht aber auch Carlyle –, ist ein rückwärtsgekehrter Prophet. Aber das hilft mir bei meiner Geschichte auch nicht weiter. Das Rätsel, das mir im Nacken sitzt, läßt sich am besten mit den folgenden Thesen formulieren.
     
A: Das Folgende ist nie geschehen.
B: Alles Folgende ist die reine Wahrheit.
     
    Das sollten Sie sich erst mal reinziehen. Es läuft darauf hinaus, daß ich Ihnen die wahre Geschichte von etwas Ungeschehenem erzählen soll. Vielleicht ist das die Definition aller Fiktion.
    Diese Einleitung kommt wahrscheinlich nicht besonders gut an. Ich werde selber immer ungeduldig und kriege schlechte Laune, wenn Schriftsteller ihre Prosatechniken in den Mittelpunkt stellen. Dieser Satz verschwindet noch tiefer als die meisten anderen im dehnbaren Schmutz seines eigenen narrativen Rektums, aber dafür kann ich nichts.
    Ich habe neulich ein Schauspiel gesehen (Stücke sind nichts im Vergleich zu Filmen, gar nichts. Das Theater ist tot, aber ab und zu schaue ich dem Leichnam gern beim Verwesen zu), in dem eine Figur dem Sinn nach sagte, manche Wahrheiten wären wie eine Schale voller Angelhaken; man wolle sich nur eine klitzekleine Wahrheit anschauen, und plötzlich hätte man den ganzen Posten als schwarzen, stachligen Klumpen in der Hand. Das muß ich unter allen Umständen vermeiden. Ich muß einiges entflechten und entwirren, und wenn schon alle Haken auf einmal kommen, dann sollen sie wenigstens schön aufgereiht sein wie eine Kette aus Büroklammern.
    Ich glaube, nach dieser Vorbemerkung darf ich folgende Verknüpfungen vornehmen: Wenn ein kaputter Schnappverschluß, eine alphabetische Nachbarschaft und Alois’ bekanntermaßen bösartige Kater mit ihrem Nachdurst nicht gewesen wären, dann hätte ich Ihnen nichts zu erzählen. Also können wir den Faden auch gleich an der Stelle wiederaufnehmen, die ich bereits als Anfang ausersehen (und wieder verstoßen) habe.
    Ich liege also da wie Keats und frage mich: »War es ein Wachtraum oder ein Phantom? Entflohn die Weise – wache,schlafe ich?« Außerdem frage ich mich, warum zum Donnerwetter Jane nicht warm eingemummelt neben mir liegt.
    Der Wecker verrät mir den Grund.
    Es ist Viertel vor neun.
    Das hat sie mir noch nie angetan. Noch nie.
    Ich rase ins Badezimmer und wieder hinaus, in den Mundwinkeln klebt noch Zahnpasta.
    »Jane!« rufe ich durch Pastabläschen. »Jane, was zum Geier ist denn los? Es ist ja schon halb zehn!«
    In der Küche schalte ich den Wasserkessel ein, suche wie verrückt nach Kaffee und sauge dabei panisch an meinen Pfefferminzfluoridlippen. Eine leere Kencotüte und bergeweise Teeschachteln.
    »Himbeerrendezvous«, Herrschaftszeiten.
Rendezvous?
»Orangenglanz«. »Banane- und Lakritztraum«. »Nächtliches Vergnügen«.
    Herrgott, was ist denn in sie gefahren? Alle möglichen Teesorten, bloß kein stinknormaler Tee. Und weit und breit keine einzige Kaffeebohne.
    Ganz hinten im Küchenschrank … Triumph, hurra. Schmatz! Ein großer Aquafreshkuß für
dich
, mein Schatz.
    »Safeway, kolumbianischer Kaffee, filterfertig gemahlen.« Na
also!
    Zurück ins Schlafzimmer, mit einem Sprung in die kurze Jeans. Keine Zeit für Boxershorts, keine Zeit für Socken. Barfuß rein in die Segelschuhe, und um die Schnürsenkel kümmern wir uns später.
    Wieder in die Küche, wo sich der Kessel gerade abschaltet. Ganz schön viel Brodeln für so wenig Wasser, aber für eine Tasse wird’s reichen, aber locker.
    Nein!
    Verdammt noch mal, nein!
    Nein, nein, nein, nein,
nein!
    Schnepfe. Blöde Sau. Dumme Kuh. Engel. Doppelschnepfe. Süße. Schlampe.
    »Jane!«
    »Safeway, kolumbianischer Kaffee, filterfertig gemahlen:
auf natürliche Weise entkoffeiniert!
«
    »Zum Geier!«
    Ruhig, Michael. Gaaanz ruhig. Bleib ruhig, mein Sohn.
    Das kann mich doch nicht erschüttern. Ich bin Doktorand. Und bald Doktor. Von so was laß ich mich doch nicht unterkriegen. Nicht von solchem Pipifax.
    Ha! Genau! Glühbirne über dem Kopf, fingerschnipsendes Heureka, wer hat hier was auf dem Kasten?
Yeah
.
    Diese Pillen, diese Aufputschpillen. Pro-Doze? No-Doze? Irgendwas in der Richtung.
    Bevor ich ins Badezimmer schlittere, fällt meinem Unbewußten noch etwas auf. Etwas Wichtiges. Da stimmt etwas nicht. Spielt vorläufig keine Rolle. Dafür ist nachher noch Zeit.
    Wo sind sie hin? Wo sind sie
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