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0981 - Tränenjäger

0981 - Tränenjäger

Titel: 0981 - Tränenjäger
Autoren: Michael Breuer
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Kolumbien, am Rand der Todeszone
    Pater Domingo schluckte schwer. Unwillkürlich blähten sich seine Nasenflügel auf, als er sich nach vorne beugte, um den Schlafenden genauer zu untersuchen.
    Die linke Hand des Patienten zeigte einen gelblichen, feucht glitzernden Ausschlag, der sich mittlerweile von den Fingerspitzen bis hinauf zum Ellenbogengelenk zog und die gesamte Hautoberfläche bedeckte. Die Nägel des Mannes hatten sich gelöst, sodass die Fingerglieder nun in schleimig wirkenden Stummeln endeten. Dazu kam der zutiefst widerwärtige Geruch, der das ganze Zimmer auszufüllen schien und Domingo einmal mehr den Atem zu rauben drohte.
    Als würde er bei lebendigem Leibe verfaulen, schoss ihm durch den Kopf. Sofort schob er den Gedanken weit von sich. Dennoch war ihm klar, dass der Mann die nächsten Tage wohl nicht überleben würde, wenn sich der Ausschlag mit der bisherigen Geschwindigkeit weiter ausbreitete.
    Domingo dachte zurück.
    Seit etwa zwei Wochen befand sich der Patient jetzt in seiner Obhut. Der dunkelhaarige Mann war auf dem Dschungel gekommen. Er fieberte und ganz offensichtlich war er nicht Herr seiner Sinne gewesen.
    Unmittelbar auf Pater Domingos Türschwelle hatten ihn die Kräfte verlassen. Seither war er nicht mehr zu Bewusstsein gekommen und sein Zustand verschlechterte sich ständig.
    Wenigstens hat er es noch zu uns geschafft, dachte der Priester bei sich. Dort draußen wäre er rettungslos verloren gewesen.
    Domingo faltete die Hände und sprach ein lautloses Gebet für seinen namenlosen Schützling. Er selbst war kein Arzt, dennoch glaubte er die Überlebenschancen des Patienten realistisch einschätzen zu können.
    Nach einem letzten Blick auf den Schlafenden erhob sich der Geistliche und zog die Soutane straff. Er musterte das über der Zimmertür hängende Kruzifix.
    Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Wochen spürte Domingo Zweifel in sich aufsteigen.
    Was mache ich eigentlich hier draußen, fragte er sich mit unbewegter Miene.
    Hier - das war San Carlos Cavazo, eine unbedeutende, kleine Jesuitenmission mit angeschlossenem Hospital, die mitten im Niemandsland lag. Seit etwas mehr als zehn Jahren verrichtete Pater Domingo in Kolumbien seinen Dienst im Namen des Herrn. Das Land hatte es ihm nicht leicht gemacht. Die seit Jahren andauernden kriegsähnlichen Zustände, die allgegenwärtige Korruption und das menschliche Elend nagten immer wieder an seinem Gemüt, doch demütig hatte sich Domingo in sein Los gefügt. Er wusste, man brauchte ihn hier und so tat er ohne großes Murren sein Werk.
    Bis sich die Situation vor ein paar Monaten grundlegend geändert hatte. Etwas war dort draußen geschehen.
    Etwas Böses!
    In den Nachrichten munkelte man von einer Nuklearkatastrophe tief im kolumbianischen Dschungel, daran mochte Domingo jedoch nicht so recht glauben. Betroffen von der angeblichen Katastrophe war ein annähernd zweitausend Quadratkilometer großes Gebiet. Diese sogenannte Todeszone wurde von Angehörigen des Militärs strengstens überwacht, damit keine unbefugte Person es wagte, einen Fuß in den Dschungel zu setzen.
    Seltsamerweise hatte Domingo aber eher den Eindruck, dass die Soldaten stattdessen aufpassten, dass nichts aus dem Dschungel herauskam.
    Die kleine Mission lag unmittelbar am Rand der Todeszone und natürlich hatte man im Zuge der Ereignisse versucht, Domingo und seine Mitarbeiter zu evakuieren. Er hatte sich jedoch standhaft geweigert. Schließlich brauchten ihn die Menschen hier. Hals über Kopf die Flucht zu ergreifen, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen.
    »Machen Sie doch, was Sie wollen«, hatte der Befehlshaber der Streitkräfte, ein unsympathischer Amerikaner, Domingos ablehnende Reaktion kommentiert. »Es ist schließlich Ihr Hals!«
    Ohne ein weiteres Wort war er wieder verschwunden, um die Mission fortan nicht mehr zu behelligen. Erleichtert hatte Domingo seinen Abgang zur Kenntnis genommen.
    Natürlich hätte es das Militär nur allzu gern gesehen, wenn sämtliche Zivilisten aus der Gegend verschwunden wären, doch man schien es nicht mit Gewalt darauf anzulegen, die Anwohner zu vertreiben. Offenbar hatte man ganz andere Sorgen.
    Nachdenklich suchte Pater Domingo einen nahen Waschraum auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um seine Lebensgeister wieder auf Trab zu bringen. Als er sich wieder aufrichtete, betrachtete er sich im Spiegel über dem Becken. Der Geistliche erblickte einen hochgewachsenen, schlanken Mann mit dunkelbraunem
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