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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Autoren: Oliver P�tzsch
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Prolog
    Altenstadt bei Schongau,
    in der Nacht zum 18 . Januar, Anno Domini 1660
     
    A ls Pfarrer Andreas Koppmeyer den letzten Stein in die Öffnung presste und mit Kalk und Mörtel versiegelte, hatte er noch gut vier Stunden zu leben.
    Mit seinem breiten Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn und lehnte sich an die kühle, feuchte Wand hinter ihm. Dann blickte er nervös die schmale, gewundene Steintreppe nach oben. Hatte sich über ihm nicht etwas bewegt? Erneut war ein Knarren zu hören, so als schliche jemand über die Dielenbretter oben in der Kirche. Aber es konnte auch eine Täuschung gewesen sein. Holz arbeitete, und die Lorenzkirche war alt und windschief. Nicht umsonst waren Handwerker seit ein paar Wochen dabei, sie zu reparieren, damit sie nicht irgendwann während der Messe einstürzte.
    Draußen pfiff ein Januarsturm um das verwitterte Gemäuer und rüttelte an den Holzläden. Doch nicht nur wegen der Kälte hier unten in der Krypta fröstelte es den Pfarrer. Er zog seine löchrige Soutane fest um sich, warf einen letzten prüfenden Blick auf die zugemauerte Wand und begab sich wieder nach oben. Seine Schritte hallten auf den ausgetretenen, mit Raureif überzogenen Stufen der Treppe. Das Heulen des Sturms wurde plötzlich lauter, so dass vom leisen Knarren in der Galerie über ihm nichts mehr zu hören war. Er musste sich getäuscht haben. Wer um Himmels willen sollte sich schon um diese Zeit in der Kirche aufhalten? Eswar weit nach Mitternacht. Seine Haushälterin Magda schlief seit Stunden im kleinen Pfarrhäuschen nebenan, und auch der alte Mesner würde erst zum Sechsuhrläuten hier auftauchen.
    Pfarrer Andreas Koppmeyer stieg die letzten Stufen aus der Krypta empor. Seine breite Gestalt füllte die Öffnung im Kirchenboden ganz aus. Er war über sechs Fuß groß, ein Bär von einem Mann; mit seinem breiten Vollbart und den buschigen, schwarzen Augenbrauen sah er aus wie die Verkörperung eines alttestamentarischen Gottes. Wenn Koppmeyer im schwarzen Gewand vor dem Altar stand und mit brummiger, tiefer Stimme predigte, hatten seine Schäflein schon allein wegen seiner Erscheinung Angst vor dem Fegefeuer.
    Der Pfarrer fasste die mehrere Zentner schwere Grabplatte mit beiden Händen und schob sie schnaufend über die Öffnung. Mit einem Knirschen legte sie sich über den Eingang der Krypta und verschloss sie so perfekt, als wäre sie nie geöffnet worden. Zufrieden betrachtete Koppmeyer sein Werk, dann machte er sich auf den Weg hinaus in den Sturm.
    Als er die Tür der Kirche öffnen wollte, merkte er, dass der Schnee bereits in hohen Wehen vor dem Portal lag. Ächzend drückte Koppmeyer mit der Schulter gegen die schweren, eichenen Türflügel, bis sich ein Spalt auftat, durch den er gerade eben hindurchpasste. Schneeflocken prasselten wie kleine Dornen gegen sein Gesicht, und er musste die Augen schließen, während er hinüber zum Pfarrhaus stapfte.
    Bis zu dem kleinen Gebäude waren es nur dreißig Schritte, doch dem Pfarrer kam es vor wie eine Ewigkeit. Der Wind zerrte an seiner Soutane, so dass sie wie eine zerrupfte Flagge um seinen Körper wehte. Der Schnee war hier draußen fast hüfttief, und selbst Koppmeyer mit seiner massigen Gestalt hatte Mühe voranzukommen. Während er sich so Schritt für Schritt durch den Sturm und die Dunkelheit kämpfte, dachte er an die letzten zwei Wochen zurück. Pfarrer Koppmeyerwar ein einfacher Mann Gottes, aber auch er hatte gemerkt, dass sein Fund etwas Außergewöhnliches war. Etwas, an dem sich andere die Finger verbrennen sollten, nicht er. Es war richtig gewesen, den Zugang zu vermauern. Sollten mächtigere, kundigere Menschen entscheiden, ob er jemals wieder geöffnet würde. Vielleicht hätte er den Brief an Benedikta nicht schreiben sollen, aber er hatte seiner jüngeren Schwester schon immer vertraut. Sie war für ein Weibsbild erstaunlich klug und belesen. Schon oft hatte er sie um ihren Rat gefragt. Bestimmt würde sie auch diesmal die richtigen Schlüsse ziehen.
    Andreas Koppmeyers Gedanken wurden jäh unterbrochen. Aus den Augenwinkeln glaubte er eine Bewegung zu sehen, irgendwo rechts hinter dem Holzstapel neben dem Pfarrhaus. Er kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit der Hand gegen die Schneeflocken ab. Aber er konnte nichts erkennen. Es war zu dunkel, und der Schneefall nahm ohnehin jede Sicht. Der Pfarrer wandte sich achselzuckend ab. Wahrscheinlich nur ein Fuchs, der sich an den Hühnerstall anschleichen wollte,
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