Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
die erste, die es las. Sie kannte die Schriften der Kirchenväter fast auswendig. Augustinus, Chrysostomus, selbst Thomas von Aquin. Wahrscheinlich hast du deine Liebe zu Büchern von ihr geerbt. Nikolaus hatte nie viel für das gedruckte Wort übrig. Er war froh, daß unser Vater mich und nicht ihn für den Orden ausgewählt hatte. Nicht ein einziges Jahr hätte er hinter Klostermauern überlebt!«
    »Mag sein, doch was hat das mit dem Tod meiner Mutter zu tun?«
    Katharina zögerte einen Augenblick. Nachdenklich blickte sie auf die hölzerne Figur auf dem Tisch. »Ich hätte das alles nicht so lange für mich behalten sollen. Diese Heilige Katharina stammt aus Francescas Heimat und war viele Generationen im Besitz ihrer Familie in Triest. Deine Mutter schwor, daß sie Wunder wirken könne und daß ihre Familie nicht untergehen würde, solange die Figur in Ehren gehalten würde. Eines Tages stiftete sie die Figur der Lippendorfer Bruderschaft für die Kapelle. Damit begann das Verhängnis. Hätte sie es nicht getan …« Seufzend verschränkte Katharina die Arme und suchte in der Miene ihres Mannes nach einem Hinweis, um nicht weiterreden zu müssen. Doch Luther tat ihr nicht den Gefallen, für sie zu sprechen. Stumm nippte er an seinem heißen Wacholdersaft und beobachtete, wie die Holzscheite im Ofen prasselnd in sich zusammenfielen.
    »Der Tod der Frau von Bora hat mit dem Brand der Kapelle vor einigen Jahren zu tun, habe ich recht?« ertönte Bernardis Stimme. »Es ging um den Bauernaufstand!«
    »Unsere Lippendorfer Hörigen haben niemals die Waffen gegen das Gut und seine Bewohner erhoben«, widersprach Katharina. »Es waren auswärtige Schwärmer, die das Dorf heimsuchten. Fanatiker. Unruhestifter. Ihre Anführer wußten um die heimliche Sympathie meines Bruders für die neuen Lehren. Sie wollten ihn zwingen, gegen den Herzog von Sachsen Stellung zu beziehen. Eines Abends, als dein Vater nicht auf dem Gut war, zog ein bewaffneter Haufen in die Katharinenkapelle und vertrieb den Priester vom Altar. In ihrer Wut zerschmetterten diese Fanatiker die Weihwasserbecken, rissen Bilder und Kruzifixe von den Wänden und traten auf den wertvollen Gemälden herum, die mein Vater und dessen Vater einst gestiftet hatten, bis die Leinwand in Fetzen hing. Dann legten sie Feuer. Das trockene Gebälk muß sogleich wie Zunder gebrannt haben. Als deine Mutter den Aufruhr vom Fenster ihrer Gemächer beobachtete, warf sie sich einen Mantel über und befahl Roswitha, bis zu ihrer Rückkehr bei dir und deinem Bruder zu bleiben.«
    »Doch sie kehrte nicht zurück«, sagte Philippa und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Plötzlich schienen aus den Tiefen ihres Gedächtnisses längst verdrängte Bilder, Laute und Gerüche aufzusteigen, um sich zu einem einzigen Moment zusammenzufügen. Sie glaubte gar eine Glocke wahrzunehmen, Stimmen, die einander anbrüllten, und das Getrampel schwerer Stiefel auf den Treppenstufen vor der Kammer, in der sie in Roswithas Armen lag und kaum wagte, sich zu bewegen.
    »Francesca trieb die Bilderstürmer mit einer Weidenrute aus der Kapelle wie einst unser Herr die Geldwechsler aus dem Tempel«, fuhr Katharina fort. »So hat man es mir jedenfalls berichtet, nachdem ich das Kloster verlassen hatte. Danach stürzte sie zur Empore zurück und nahm die Heiligenfigur, das Vermächtnis ihrer Familie, von ihrem Sockel. Sie schaffte es noch, sich einen Weg durch den Qualm zu bahnen. Doch ehe sie das Tor erreichte, brach über ihr das Dachgebälk zusammen. Ein Stützpfeiler löste sich und …« Katharina verstummte. Sie legte den Kopf auf ihre Hände, als würde sie beten.
    »Als Nikolaus sie fand, lag die Heilige unter ihrem Körper«, ergänzte Luther mit ungewohnt leiser Stimme. »Die Figur war weitgehend unbeschädigt geblieben. Ein Wunder, wie viele glaubten. Aber Euer Vater ließ sie nie wieder an ihrem Platz aufstellen. Vermutlich versuchte er zu vergessen, weil er sich schuldig fühlte.«
    »Schuldig? Warum?«
    »Soweit mir bekannt ist, weigerte sich Nikolaus von Bora hartnäckig, Klage vor dem landesherrlichen Gericht zu erheben. Er ließ zwei der Bilderstürmer, die ihm in die Hände gefallen waren, im Wald aufhängen, doch mehr geschah nicht. Eigentlich hätte er dem Herzog Bericht erstatten müssen, wie seine Gemahlin zu Tode kam. Doch damit hätte er auch indirekt eingestanden, daß er und die Bauern der Umgebung bereits dem evangelischen Glauben anhingen. Glaubt mir, Herzog Georg von Sachsen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher