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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
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aufgefallen, dabei hätten sie die Worte jenes Fragments lediglich in die Sprache zurückübersetzen müssen, aus der sie entnommen worden waren. Die Sprache, in der Philippa selbst die Lepperin einige Wochen lang unterrichtet hatte. Doch statt die ganze Geschichte zu erzählen und damit viele ungute Erinnerungen heraufzubeschwören, erwiderte sie lediglich: »Es war Zufall. Der Schreiber ist mir die ganze Zeit seltsam vorgekommen, so daß ich ihn ein wenig aufmerksamer beobachtet habe.«
    Katharina bemerkte die umwölkte Stirn ihrer Nichte und ging nicht auf ihre ausweichenden Worte ein, statt dessen sagte sie: »Als wir heute früh die Kammer des Schreibers durchsuchten, entdeckten wir etwas, das gewiß nicht zu seinen Habseligkeiten gehört. Es stammt aus unserer Heimat, aus Lippendorf!« Sie erhob sich, schritt zu einer der beiden Anrichten hinüber und kehrte mit einem in Tücher gehüllten Gegenstand zurück. »Du weißt, worum es sich handelt, nicht wahr? Warum hast du mir oder deinem Onkel niemals von der Heiligenfigur erzählt?«
    Verblüfft starrte Philippa die Lutherin an. Dann löste sie die Schnüre und streifte die Tücher vom Leib der Heiligen. Die starren, hölzernen Augen starrten sie vorwurfsvoll an.
    »Ich fürchte, dies habe ich zu verantworten!« Bernardi postierte sich demonstrativ hinter Philippas Stuhl. »Ich habe Eurer Nichte unlängst erklärt, was die Evangelien über Gebrauch und Verehrung von Heiligenbildnissen zu sagen haben, Doktor Luther.«
    »All diese Mißverständnisse!« Luther stöhnte auf. Erschöpft ließ er sich auf einen Schemel sinken und massierte mit ungelenken Bewegungen seinen Nacken. »So war es schon damals, als du hier studiert hast. Erinnerst du dich, mein Junge? Du hast mich stets zu wörtlich genommen oder warst meinen Worten um drei Gedanken voraus!« Wie gewöhnlich, wenn er erregt war, beschleunigte sich seine Atmung. Besorgt sprang Katharina auf und ergriff sein Handgelenk.
    »Martin, vielleicht solltest du dich …«
    »Nein!« Unwillig brachte der Reformator seine Frau zum Schweigen, indem er ihren Arm abschüttelte. Eine Weile musterte er seine Nichte und den Magister. Dann sagte er bedächtig: »Bilder sind weder gut noch böse. Man kann sie haben oder nicht haben. Wichtig ist allein, ob wir ihnen unser Seelenheil anvertrauen oder mit Gottes Hilfe selbständig für unsere Verfehlungen einstehen. Es tut mir leid, daß du, Philippa, dich in meinem Hause nicht frei genug fühlen konntest, deine Vergangenheit und die deiner seligen Mutter zu ehren, wie es einer hingebungsvollen Tochter möglich sein sollte!«
    »Die Vergangenheit meiner … Mutter?« Philippa horchte auf. »Heißt das, Ihr wißt, was es mit dieser Skulptur auf sich hat?«
    »Wenn ich gewußt hätte, daß mein armer Bruder Nikolaus sie dir statt deinem Bruder vermacht hat …«, murmelte Katharina und atmete schwer aus. »Ich hatte ja keine Ahnung!«
    Bernardi legte seine Hand sanft auf Philippas Schulter. Er mußte sehr irritiert sein, denn sie konnte spüren, wie er von einem Fuß auf den anderen trat. »Was ist mit Jungfer von Boras Mutter geschehen?« fragte er leise. »Ich denke, Eure Nichte hat ein Recht darauf, es endlich zu erfahren!«
    Es war Katharina, die stockend zu erzählen begann, nachdem sie Luther einen flehentlichen Blick zugeworfen hatte. »Als mein Bruder seine Braut aus Italien nach Lippendorf brachte, war ich noch im Kloster. Doch ich freute mich sehr, daß Nikolaus eine Frau gefunden hatte, die dem stillen Haus etwas Leben verlieh. Daß Francesca vor Temperament geradezu sprühte, bemerkte ich jedesmal, wenn sie mich in Marienthron besuchte. Sie spielte Laute, sang wie ein Engel und stickte herrliche Wandbehänge. Der große Teppich im Saal des Herrenhauses stammt auch von ihrer Hand, weißt du?«
    Philippa nickte, verzichtete aber auf eine Erwiderung. Katharina konnte nicht wissen, daß an derselben Stelle heute ein Gobelin ihrer Schwägerin Abekke hing, der das Medewitzer Wappen zeigte.
    »Deine Mutter hat Nikolaus sehr geliebt, aber in Fragen des Glaubens haben sie oft gestritten. Gleich nach deiner Geburt vertraute sie mir dies an, obschon sie ahnen mußte, daß ich des Klosterlebens überdrüssig war und den Lehren der römischen Kirche längst nicht mehr mit der gleichen Ehrfurcht gegenüberstand wie sie.«
    »Hat sie sich meinem Vater denn widersetzt?« fragte Philippa.
    »Nein, das nicht! Als Nikolaus das Septembertestament in deutscher Sprache erhielt, war sie
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