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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
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ihrer Geistesgaben die Worte fehlten, um sich einzugestehen, was sie einander bedeuteten.
    »Dein Onkel hat übrigens gestern mit dem Kurfürsten gesprochen!« Ein Lächeln erhellte Katharinas Gesicht. »Graf Wolfger muß Wittenberg binnen drei Tagen verlassen und zu seinem Herrn nach Kassel zurückkehren!«
    Philippa hoffte inständig, den Eidgrafen nie wiedersehen zu müssen. Vorsichtig raffte sie den Saum ihres langen Rockes, um sich von ihrer Tante endgültig zu verabschieden, als die Lutherin zögernd einen mehrfach zusammengefalteten Briefbogen aus ihrer Schürze hervorholte. »Wolfger hinterließ einen Brief für dich. Er hing heute morgen am Haupttor. Aber wenn du ihn nicht lesen möchtest, so werfe ich ihn eigenhändig ins Feuer. Dieser Mensch hat mit seinem krankhaften Ehrgeiz genug Unfrieden in unserem Haus gestiftet.«
    Philippa schüttelte den Kopf, nahm das zerknitterte Papier an sich und brach ohne jede Regung das prunkvolle Siegel.
    Gegeben zu Wittenberg, Reminiscere 1537
    Unaufschiebbare Amtsgeschäfte zwingen mich, Wittenberg und Kursachsen einstweilen zu verlassen. Da Ihr, verehrte Schulmeisterin, Euren Magister ohne mein Zutun entlasten konntet, verzichte ich für dieses Mal auf die Erfüllung unseres Vertrages und zolle Euch meinen Respekt.
    Vergeßt nicht, was ich Euch über die Verbundenheit von Krämern und Schulmeistern gesagt habe.
    Bereits heute sehne ich den Tag herbei, an dem wir einander wiederbegegnen werden. Bis dahin
    verbleibe ich Euer
    Wolfger Eidgraf von Hoechterstedt
    Philippa zerknüllte das Schreiben in der Faust. Ein paar Momente stand sie bewegungslos da, den Blick gen Himmel gerichtet, und beobachtete einen Schwarm weißgefiederter Vögel, der kreischend über die Türme zog und den Menschen damit seine Rückkehr aus den Ländern des Südens ankündigte. Dann öffnete sie ihre Faust, glättete das Papier mit einigen hastigen Bewegungen und stopfte es ohne jede Erklärung in ihr gefüttertes Wams. Es wurde Zeit, das Lutherhaus zu verlassen.
    ***
    Wenige Schritte hinter dem Baumgarten bat Philippa Bernardi, den Wagen anzuhalten, und sprang herab.
    »Was wollt Ihr denn auf dem Freihof?« fragte Bernardi verwundert und schnalzte mit der Zunge, um die beiden Pferde im Gespann zu beruhigen. »Magdalena hält nicht viel von Besuch, das wißt Ihr doch!«
    »Einen letzten Besuch wird sie wohl ertragen müssen!« Entschlossen schob Philippa das Gatter auf und lief auf das Häuschen zu, aus dessen Kamin eine dünne Rauchsäule in den Himmel stieg. Von weitem erkannte sie die Malereien an der Vorderfront des Gebäudes. Die Gesichter der Figuren schienen sie spöttisch anzugrinsen.
    Philippa hatte kaum die Fischweiher umschritten, als auch schon die Freihöferin auf die Veranda trat und dem Ankömmling mit unverhohlener Abneigung entgegen starrte. Das Gesicht der Frau war erhitzt, ihr fleischiger Hals gerötet. Rasch zog sie eine Schnur aus ihrer Schürze und band sich das lange rote Haar zurück.
    »Womit kann ich Euch dienen, Jungfer?« Die Stimme der Freihöferin klang eisig.
    Philippa drehte sich unsicher um. Sie sah, wie Bernardi ebenfalls vom Wagen stieg, noch unschlüssig, ob er ihr folgen sollte. Roswitha blickte gelangweilt unter der Plane hervor, rührte sich aber nicht.
    »Vermutlich hat meine Tante Euch bereits mitgeteilt, daß ich die Stadt verlasse!«
    »Ja, Ihr geht nach Straßburg«, erwiderte Magdalena. Die Nervosität, die sie unter dem prüfenden Blick der Luthernichte empfand, schien stärker zu werden.
    Philippa atmete tief durch. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Doch vorher möchte ich mich davon überzeugen, daß mit Euch und dem Hof alles in Ordnung ist. Laßt mich bitte eintreten!«
    Resolut schob sie die verdutzte Frau zur Seite und verschaffte sich Zutritt zu deren Kammer, ohne auf das Gezeter in ihrem Rücken zu hören. Wohlige Wärme schlug ihr entgegen, Wärme und ein angenehmer Duft von Rosenwasser, gekochten Äpfeln und Zimt.
    »Ihr habt kein Recht, hier einzudringen, Schulmeisterin!« rief Magdalena zornig. Sie versuchte, Philippa aus der Stube zu drängen. »Hinaus …«
    »Ich bin nicht gekommen, ihn Euch wegzunehmen, Freihöferin!« Philippa packte die Frau am Handgelenk. »Tatsächlich gibt es wohl kaum einen Ort auf der Welt, der mir geeigneter für ein heimatloses Kind erscheint als Euer Hof!« Sie schob Magdalena von sich. »Und ich kann mir keine hingebungsvollere Mutter vorstellen als Euch, Freihöferin. Ich lese in Euren Augen, wie sehr Euch
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