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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
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einen halb überraschten, halb ärgerlichen Laut aus und ließ dabei das Bündel fallen, das er unter dem Arm getragen hatte. Mit einem dumpfen Geräusch schlug es auf den Stein. Ein goldener, mit funkelnden Rubinen besetzter Kelch, der einst für den Wein in der heiligen Messe bestimmt gewesen war, kam unter den schmutzig feuchten Fellstücken zum Vorschein.
    Wortlos raffte der ältere Mann seinen Umhang über die Schulter und hob den Kelch auf. »Du hast einen guten Geschmack, mein Freund. Bestimmt weißt du, was mit dir geschieht, wenn die Söldner des Fürstbischofs gestohlenes Kirchengerät bei dir finden!« Rasch verbarg er das kostbare Stück vor den Blicken der alten Männer und Frauen, die noch immer unschlüssig auf der Gasse verharrten.
    »Verratet mich nicht, gnädiger Herr. Ich bin erst vor zwei Monaten zu Euch übergelaufen. Aber Ihr …« Er errötete und geriet ins Stottern. »Ihr seid doch … ich meine, Ihr habt in St. Mauritius gepredigt. Wo ist Eure junge Gemahlin? Habt Ihr sie im Getümmel verloren?«
    Mißbilligend hob der Mann eine Augenbraue. Er ließ das Wams des Burschen los und klopfte ihm leicht gegen die Schulter. Dann lächelte er ihn kalt an und drängte die Umstehenden zur Seite. Der Junge war nicht dumm. Zweifellos hatte er ihn erkannt. Aber das spielte keine Rolle mehr, denn er konnte ihn unmöglich verraten, ohne sich selber ans Messer zu liefern. Auf Kirchenplünderung stand der Tod auf dem Scheiterhaufen.
    Manchmal staunte der Mann darüber, wie leicht es war, Ängste zu schüren und somit Macht über die Seelen der Menschen zu gewinnen. Dabei verspürte er nicht den leisesten Hauch von Schuld. Schuldig waren allein jene Narren, die sich vom Gefühl ihrer Fehlbarkeit verzehren ließen. Sie waren es aber auch, die ihn brauchten, um ihren Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten einen Namen zu geben. Sie wollten nicht nur glauben, sondern auch sehen und fühlen, was er ihnen predigte.
    »Du hast an den Schanzanlagen gedient, nicht wahr?« bemerkte der Mann nun. »Gewiß kennst du den geheimen Tunnel, der durch das Torhaus aus der Stadt führt!«
    »Ja, Herr, ich kenne ihn, aber ich mußte schwören, daß …«
    »Bring mich hinaus.« Sein Blick wurde durchdringend. »Ich darf dem Fürstbischof nicht in die Hände fallen. Unser Meister hat mich mit einem Auftrag auf den Weg geschickt, und diesen werde ich erfüllen, koste es, was es wolle!«
    »Ihr habt den Auftrag, uns Rettung zu bringen«, brachte der Soldat schüchtern vor. »Wollt Ihr denn zu unseren Brüdern nach Straßburg?«
    Er erhielt keine Antwort. Mit eisernem Griff schob ihn der Ältere an der Menschenmenge vorbei. Gemeinsam eilten sie durch die engen, verwinkelten Gassen, stiegen über zerschlagene Truhen, Holzbänke und die Scherben von Bleiglasfenstern. An einem Brunnen blieben sie kurz stehen, um Atem zu holen. Der ältere Mann war erschöpft. In seinem Brustkorb klopfte es hart, aber er spürte das anregende Brennen nicht mehr, das ihn in der Vergangenheit gestärkt und ihm die Bürden seines Amtes erträglicher gemacht hatte. Gleichgültig! Solange er lebte, trug er eine Flamme in sich, die nicht verlöschen würde. Eine Flamme, die einen Brand entfachen konnte. Er mußte wohlüberlegt vorgehen, um sie zu nähren. Bis zu dem Tag, an dem er Rache an den Männern nehmen durfte, die ihn verraten hatten.
    »Seid vorsichtig, gnädiger Herr!« Im nächsten Moment schob ihn der Wachsoldat unter das herausragende Vordach einer Seilerei und drückte ihn gegen die Wand. Er bemerkte, wie eine Schar Ritter auf Pferden an ihnen vorübersprengte. In ihren Harnischen spiegelte sich der Mond so kalt wie Eis. Ihre Waffenknechte trugen Pechfackeln, mit denen sie die Mauernischen nach Flüchtlingen auszuleuchten versuchten. Zwei der Bewaffneten spähten argwöhnisch in den dunklen Winkel des Vordachs. Doch sie liefen weiter.
    Augenblicke später begann die blutige Jagd.
    Die Männer und Frauen, die eben noch auf den Gassen miteinander gebetet hatten, plagten sich auf und stürzten in wilder Hast ihren Häusern entgegen. Ein Schwarm von Landsknechten folgte ihnen auf dem Fuße. Unter dem dröhnenden Geläut der Glocken stachen sie mit Hellebarden und Lanzen auf die Flüchtenden ein. Panik griff um sich. Soldaten des Fürstbischofs schlugen auf der Suche nach Beute die Türen der hohen Giebelhäuser ein; sie zerrten Frauen und Kinder auf die Straße. Andere wurden aus den höhergelegenen Fenstern hinunter auf den Platz gestoßen. Zur
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