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Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt

Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt

Titel: Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Autoren: Felicitas Mayall
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Ich hätte vor dreißig Jahren sterben sollen, dachte Giorgio Altlander. Das wäre der richtige Moment gewesen. Auf dem Höhepunkt. Drei, vier ungewöhnliche Bücher mit internationalem Erfolg, eingereiht in die Ruhmeshalle der jungen Genies, die nur kurz die Erde berühren und schon wieder davon sind – wie Botschafter einer anderen Welt … Aliens oder Engel mit dunklen Schwingen. Wie Lord Byron, Shelley, Keats, die jungen Engländer, wie ich selbst einst auf der Flucht vor Spießern und Moralaposteln, vor dem ganzen Elend des normalen Lebens.
    Jetzt war er vierundsechzig, seine Bücher verkauften sich noch immer gut, aber die Kritiken hatten einen hämischen Unterton, und er wusste selbst, dass er nie mehr die Originalität seiner frühen Werke erreicht hatte. Sein Taufname Wolf stünde ihm eigentlich besser an als sein selbst gewählter Vorname Giorgio (Lord Byron hieß George), der ihm heute beinahe lächerlich erschien. Manchmal fühlte er sich wie ein zahnloser räudiger Wolf, der das Jagen verlernt hat.
    Er stützte die Hände auf seinen Schreibtisch, stand langsam auf. Süßlicher Duft drang durch das offene Fenster seines Arbeitszimmers. Draußen blühte ganz Italien. Auch etwas, das er immer schlechter ertrug. Lieblichkeit hatte ihm noch nie entsprochen. Aus diesem Grunde hatte er dieses Haus südlich von Siena gewählt. Es lag inmitten der Crete, jener klaren und kargen Landschaft, die das Skelett der Toskana bloßlegte, ihre wahre Natur. Altlander verzog das Gesicht – Wölfe scharrten nach Knochen, war es nicht so? Die Crete jedenfalls waren nie lieblich, schmückten sich nur manchmal mit Sonnenblumenfeldern oder hellem Grün keimenden Getreides.
    Er mochte am liebsten nackte Felder, tiefbraune Erde hügelauf, hügelab, die Struktur der Erdklumpen und weißen Erosionsknochen. Klarheit. Zumindest außen. In seinem Inneren wechselten Klarheit und Verwirrung ständig ab. Trocken auflachend trat er ans Fenster. Ein letzter lilaroter Schimmer der untergegangenen Sonne hing über der Landschaft. Die Schirmpinie auf dem Hügel gegenüber zeichnete sich schwarz gegen den Himmel ab. Irgendwo blökten Schafe. Der Duft des Frühsommers erschien ihm wie aufdringliches Parfüm, ähnelte dem Duft, den Enzo ausströmte, wenn er nach Siena oder Florenz fuhr, um Freunde zu besuchen. Altlander hasste Parfüm und Enzos Freunde. Er hasste es, wenn Enzo sich rausputzte wie eine Nutte. Aber auch das nahm er hin, wie den Frühsommer, es bot immerhin Munition für ihre Auseinandersetzungen.
    Jetzt erst bemerkte er die Gestalt seines Noch-Lebensgefährten. Enzo lehnte an der Mauer, die den Garten einfasste. Wie eine winzige blaue Nebelwolke stieg der Rauch seiner Zigarette auf. Er schaute ins Land hinaus, als genieße er den Sonnenuntergang. Doch die Art, wie er rauchte, hatte etwas Heftiges, Rastloses.
    Wieder lachte Altlander bitter auf. Lautlos diesmal. Sie hatten sich beim Mittagessen gestritten. Worüber? Über irgendeine von Enzos vielen Nachlässigkeiten. Er konnte sich nicht einmal mehr genau erinnern, über welche. Doch, ja, jetzt fiel es ihm wieder ein. Enzo hatte grünen Paprika in den Salat gemischt, obwohl er genau wusste, dass Altlander grünen Paprika nicht vertrug. Solche Dinge machte Enzo in letzter Zeit häufiger. Mit den Gurken war es ähnlich – Enzo schälte sie und ließ sie einen halben Tag liegen, ehe er sie als Salat servierte. Altlander wurde schon beim Geruch übel. Es lag System in Enzos Nachlässigkeiten – die kleinen Anschläge auf Altlanders Magen und Galle wurden von den Köstlichkeiten Enzos übriger Kochkunst aufgehoben, wirkten wie wunderliche Ausrutscher, möglicherweise von der Haushälterin verschuldet, die am Salat herumgebessert hatte. Jedenfalls stellte Enzo es so dar.
    Altlander fiel auf solche Ausreden nicht herein, kannte Menschen und insbesondere Enzo zu gut. Die neue Ausdruckslosigkeit in Enzos Augen war ihm nicht entgangen, die Gleichgültigkeit, manchmal sogar Unaufrichtigkeit seiner Gesten. Altlander wusste, dass ihre Beziehung sich dem Ende zuneigte – fast schon vorüber war. Er begehrte Enzo nicht mehr, obwohl er noch immer die Erscheinung des jungen Italieners bewunderte, seine Art, sich zu bewegen, diesen lässigen leichten Schritt, die Geste, mit der er seine dichten dunkelbraunen Haare zurückstrich und halb verlegen, halb provozierend lächelte. Begehren war von einer halbwegs angenehmen Vertrautheit abgelöst worden. Noch nicht lange, ein paar Monate erst.
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