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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel
Autoren: Claudie Gallay
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gegen die Schläger prallt.
    Die Jogar betrachtet das Kind, das eigenartig lächelt.
    »Lächelt er immer so?«
    »Immer.«
    Sie hockt sich vor ihn. Er sieht sie an, streckt die Hand aus und berührt mit dem Finger sachte das geschminkte Augenlid der Jogar.
    Etwas Puder bleibt an seinem Finger haften.

J ulie und die Jungs sitzen auf der Terrasse und trinken etwas. Der Titel Nuit rouge auf ihren T-Shirts ist schwarz durchgestrichen.
    Sie haben dafür gestimmt, einen weiteren Abend zu streiken. Präsident Chirac soll sprechen, bis dahin wollen sie dabeibleiben.
    Odon lässt sie gewähren. Ihr Kampf ist berechtigt, aber sie kämpfen am falschen Ort.
    Yann verschlingt die Mädchen mit den Augen. Im Sommer sind sie fast nackt, strecken ihre Schenkel in die Sonne, breiten die Arme aus, die glatten Achseln werden sichtbar.
    Ein paar kranke Tauben schleppen sich über den Platz, die Füße von einer sich ausbreitenden Lepra zerfressen.
    Ein junger Mann tanzt zwischen den Tischen, Kopfhörer in den Ohren, die Arme verrenkt. Seine Füße gleiten übers Pflaster, sein Körper scheint schwerelos.
    »Er wird gegen die Mauer prallen«, sagt Julie.
    Als er gegen die Mauer prallt, bricht sie in Gelächter aus.
    Sie trinken aus.
    Ein riesiger Vorhang aus Streifen, von der Decke hängend, soll das Bühnenbild für ihre Aufführung werden. Schmale Streifen, aus Metall. Noch hängt er nicht. Er liegt verwickelt auf der Bühne.
    Sie gehen zum Theater zurück. Dort setzen sie sich im Schneidersitz auf die Bühne und lösen die Knoten. Sie schaffen es nicht, die Klimaanlage zum Arbeiten zu bringen.
    Der Notausgang steht noch offen.
    Von dort kommt sie herein. Sie macht ein paar Schritte, blickt sich um, die leeren Sitzreihen, der knallrote Samt. Sie ist zum ersten Mal in einem Theater. Sie stellt ihren Rucksack in den Mittelgang.
    »Ich bin die Schwester von Paul Selliès.«
    Ihre Stimme ist leise, gleichsam ihrem Atem abgerungen. Kaum hörbar. Alle blicken auf.
    »Die Schwester von wem?«, fragt Odon.
    »Selliès«, wiederholt sie.
    Sie deutet auf das Plakat von Nuit rouge .
    Odon steht auf und nähert sich ihr. Er erkennt das Mädchen von der Böschung, steigt die drei Stufen hinab.
    »Odon Schnadel, sind Sie das?«, fragt sie, als er vor ihr steht.
    Er nickt.
    Sie errötet.
    »Heute Morgen, auf dem Kahn, ich hatte keine Ahnung …«
    Sie holt eine Zeitschrift aus ihrer Tasche, eine Werbung.
    »Im Kulturzentrum lag das aus …«
    Sie war zufällig auf den Artikel gestoßen, hatte Fotos gesucht und den Namen ihres Bruders gefunden, Avignon, das Festival … Dann hat sie die Landkarte angeschaut, sie brauchte nur einem Fluss zu folgen.
    »Ich wollte es sehen«, murmelt sie.
    Sie lächelt eigenartig.
    »Wir streiken!«, sagt Julie.
    Das Mädchen nähert sich der Bühne.
    Sie betrachtet das Bühnenbild. Den riesigen Vorhang aus Dunkelheit und Licht.
    »Sind Sie die Schauspieler?«
    »Ja …«
    Sie berührt den Vorhang. Die schlaffen Streifen fühlen sich wie Plastik an.
    »Wovon handelt Nuit rouge ?«
    »Es ist eine philosophische Erzählung«, erwidert Julie, »eine Art Fabel … Das Schicksal von ein paar Menschen, die Träume haben und sie dann nicht verwirklichen.«
    Greg mischt sich ein.
    »So einfach ist es nicht …«
    Er kommt näher, geht in die Hocke und betrachtet die auffallend hellen Augen des Mädchens.
    »Es geht um ein Mädchen und vier Jungen, die sich nicht kennen. Sie begegnen sich an einem Ort außerhalb der Stadt. Es gibt Hunderte wie sie, die sich auf einem Hügel treffen, um eine neue Welt zu definieren, eine Utopie. Sie haben nur ein paar Stunden. Es ist poetisch. Und auch hoffnungslos. Pessimistisch, es lässt der menschlichen Natur keine Chance.«
    Julie nimmt ihren Platz wieder ein, fährt mit den Händen durch die Streifen des Vorhangs.
    »Weißt du, wie ich ende?«
    Sie entwirrt zwei Streifen.
    »Ich sterbe, weil ich rote Digitalisblüten esse. Acht Gramm reichen aus, das Herz bleibt stehen.«
    Sie lächelt.
    »Das ist mein Schicksal.«
    Das Mädchen betrachtet Julies Gesicht.
    Sie hat nicht gewusst, dass ihr Bruder diese Geschichte geschrieben hat. Er hat ihr nie davon erzählt. Oder doch, und sie hat es vergessen …
    Sie fährt mit der Zunge über den Ring in ihrer Lippe.
    Paul schrieb im Lieferwagen. Um die Worte zu finden, starrte er durch die Windschutzscheibe, seine Augen brannten, und das machte ihr Angst. Vielleicht hat er ihr auch wegen der Traurigkeit nicht davon erzählt.
    »Wie sieht eine rote
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