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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel
Autoren: Claudie Gallay
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Mitte. Ein Vordach aus Schilfrohr schützt das Ganze vor der Sonne.
    Ein Klavier. Jeff streift mit der Hand über die Tasten, eine Mischung aus Staub und Pollen bleibt haften. Seine Finger hinterlassen Schweißspuren, die sofort wieder trocknen.
    Odon blättert die Zeitungsseiten um. Der Veranstaltungskalender. Ein Foto der Jogar. In der Lobby eines Hotels, im Abendkleid. Dichtes Haar, dunkle Augen. Auf ihren Lippen dieses Lächeln, wegen dem man sie für arrogant hält.
    »Sie ist zurückgekommen …«, sagt Jeff, über Odons Schulter gebeugt.
    »Das geht dich nichts an.«
    Jeff richtet sich auf.
    »Es gefällt mir nicht, dass sie da ist.«
    »Das ist nicht dein Problem.«
    »Dann lass ich dich allein weiterlesen.«
    »Ja, tu das.«
    Odon schließt die Zeitung.
    »Du müsstest die Brennnesseln ausreißen, sie wuchern alles zu.«
    »Ich werde mich darum kümmern.«
    »Seit zwei Wochen sagst du das schon, Jeff … Du hast auch angefangen, das Deck zu lackieren, und bist immer noch nicht fertig.«
    »Ich gieße immerhin die Blumen …«
    »Ja, die Blumen gießt du, aber die Brennnesseln müssen ausgerissen werden, Monsieur Big Mac mag ihren Geruch nicht.«
    »Manchmal wird aus Abneigung Zuneigung«, sagt Jeff.
    Odon drückt die Hand auf den Tisch, mit gespreizten Fingern.
    Jeff schweigt.
    Die Blätter vertrocknen in der Hitze, werden gelb, sterben ab. Unter einem der Bullaugen verwandelt der Efeu sich in Lianen.
    Er füllt die Gießkanne.
    Auf einem Brett über dem Klavier stehen Pflanzen in einer Reihe. Blumen, die in Gläsern wachsen, durch die man die Wurzeln erkennen kann. Jeff topft sie ein. Wenn keine Gläser mehr da sind, benutzt er Konservendosen, in die er mit einer Spitze Löcher bohrt. Die schlammige Erde besorgt er sich an einer geheimen Stelle der Insel.
    Alles, was Jeff eintopft, bildet Wurzeln.
    Er sagt, selbst der Tod würde wachsen, wenn ich ihn eintopfen würde.
    Odon denkt an Mathilde. Nachts hielt er sich vom Schlafen ab, um sie anzusehen. Ihren schweren Mund, ihren nackten Körper unter dem Laken, er studierte all ihre Konturen, betrachtete sie zärtlich und deckte sie wieder zu; er mochte alles an ihr, ihren weichen Bauch, den Geruch ihrer Haut, ihr Lachen, ihre Wünsche, ihre Stimme. Als sie ging, sagte sie, Wirst du manchmal an mich denken? Er konnte nicht antworten. Er drückte einen langen Kuss auf ihr Haar.
    Jeff gießt die Pflanzen über dem Klavier. Er spricht vom Festival des vergangenen Jahres.
    »Woher kam der Bursche, der uns mit den Bühnenbildern geholfen hat? Er hatte einen drolligen Akzent.«
    »Aus Michigan …«
    Jeff weiß es, aber er hört diesen Namen, Michigan, so gern.
    »Ja, genau, er spielte Banjo …«
    Er redet allein weiter, während er die Erde gießt.

O don springt ins Wasser, und die Kröte taucht ihm hinterher. Seit Jahren ist das schon so, eine Gewohnheit, sobald es schön wird. Sie schwimmen gemeinsam, der Mann und das Tier. Am Ufer entlang. Nach ein paar Metern klammert Big Mac sich an seine Schultern, der kalte Körper presst sich gegen seinen Nacken, und Odon schwimmt in die Mitte des Flusses. Es ist gefährlich. Sobald er die Strömungen an seinen Schenkeln spürt, macht er kehrt.
    »Die Strömungen sind mörderisch«, sagt Jeff, als er ihn aus dem Wasser kommen sieht.
    »Ich kenne die Strömungen.«
    Jeff zuckt die Achseln.
    »Eines Tages wird der Fluss dich behalten, oder er wird Monsieur Big Mac töten.«
    Odon antwortet nicht. Er trocknet sich ab und hängt das Handtuch über eine Leine, die zwischen zwei Bäumen gespannt ist. Der Kahn ist am urwüchsigsten Ufer vertäut, im tiefen Schatten einer Platanenreihe. Seit Jahren schon hat er den Fluss zwischen sich und die Stadt gerückt. Unfähig, direkt an Land zu leben, mit den Menschen. Unfähig, ohne sie zu leben.
    Im Winter legt sich der Nebel auf den Fluss, von Avignon sind nur geisterhaft die Stadtmauern zu erkennen.
    Er schenkt sich einen zweiten Kaffee ein.
    Jeff stellt das Radio an, France Inter, es sind Ferien, die Programme sind etwas durcheinander. Der Wetterbericht sagt Hitze voraus, unerträgliche Temperaturen, ohne Hoffnung auf Regen in absehbarer Zeit.
    In den Kurznachrichten wird die Absage des Festivals gemeldet. Nicht das ganze Festival ist abgesagt worden, nur die »In«-Aufführungen sind betroffen.
    Er wechselt die Sender. Überall die gleiche Meldung. Auf France Culture protestiert Ariane Mnouchkine und fordert das legitime Recht zu spielen ein. Bartabas prangert die selbstmörderische
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