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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte
Autoren: PeP eBooks
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zwei
    »Woooha!«, schreit Pike, den Fuß auf dem Gaspedal. »Wir gehen drauf!«
    Wir fliegen durch die tiefe Schwärze der nächtlichen Landschaft irgendeine unbenannte Schotterstraße entlang. Durch die Windschutzscheibe ist die Außenwelt nur Mitternachtsnebel, aufgehellt bloß vom zittrigen Strahl unseres einen heilen Scheinwerfers. Wir rasen mit einer Geschwindigkeit dahin, die für den zerbrochenen Tacho unermesslich ist.
    Draußen ist es bitterkalt und diese beschissene Rostlaube hat keine Heizung. Pikes irres Lachen verwandelt sich in frostige Atemwolken.
    »Hoffentlich hat die Kiste gute Bremsen«, schreie ich vom Rücksitz.
    Wie Hagel spritzen Kieselsteine rechts und links vom Auto weg.
    »Nix Bremsen«, brüllt Pike und kämpft mit dem schlotternden Lenkrad. »Wir bleiben stehen, wenn wir irgendwo gegenkrachen.«
    Darf ich vorstellen? Der am Steuer ist also Pike. Sein jüngerer Bruder Howie hockt auf dem Beifahrersitz, die Füße gegen das Armaturenbrett gestemmt, als könnte ihn das davor
bewahren, bei einem Aufprall durch die Windschutzscheibe zu fliegen. Ich sitze hinten, zusammen mit Ash - die zwar kein Kerl ist, sich aber wie einer benimmt.
    Mein Herz wummert mir gegen den Brustkorb.
    »Anschnallen!«, ruft Pike.
    »Hier gibt’s keine Gurte«, sage ich.
    »Ihr könnt ja den Hersteller verklagen. Oh, sorry. Das bin ja ich.«
    Pike ist nämlich der wahnsinnige Automechaniker, der dieses Monster zusammengeschraubt hat - aus Teilen vom Friedhof der zerschredderten Blechkisten drüben am Sunset Speedway, wo im Sommer Stock-car-Rennen stattfinden.
    Diese Schotterstraßen sind nicht für solche Geschwindigkeiten gedacht. Mein Kopf kracht gegen die Decke, als wir durcheinandergerüttelt werden wie vergessenes Kleingeld in einem Trockner. Das Einzige, was mich ablenkt, ist Ashs Hand, die bei diesem Schleudergang auf meinem rechten Knie Halt zu finden versucht. Ein Schauer, der nichts mit dem arktischen Wind da draußen zu tun hat, rieselt mir den Oberschenkel hinauf.
    Ich schaue zu Ash hin - sie lacht japsend, als würde sie kleine Schluchzer herunterschlucken. Ich weiß, warum sie lacht. Ich spüre es nämlich auch, dieses achterbahnmäßige Freier-Fall-Gefühl, das einem das Lachen aus der Brust reißt.
    Das Auto bricht hinten aus und kommt ins Schleudern, wir drehen uns einmal um die eigene Achse, bevor wir auf der Kreuzung von zwei menschenleeren Straßen stehen bleiben.
    In der plötzlichen Stille greife ich nach Ashs Hand. Sie wehrt mich ab und klatscht mir mit dem Handrücken gegen
die Brust. Als hätte ich versucht, ihr an die Wäsche zu gehen, als wäre nicht sie es gewesen, die sich eben noch halb tot vor Angst an mich geklammert hat.
    Pike schaut durch die Bäume zu einem erleuchteten Gebäude hin, das keine hundert Meter von uns entfernt aufragt.
    In der Dunkelheit des Autos sind seine roten Haare das einzig Leuchtende, blitzend im Schein des vom Schnee reflektierten Scheinwerferlichts. Pike trägt den gleichen vorschriftsmäßigen Army-Haarschnitt wie sein Vater - einen breiten roten Irokesen-Streifen, der den Kopf mitten durchschneidet. Wenn sich die Sonne in seinen Haaren fängt, sieht er aus wie ein brennendes Streichholz.
    Pike streicht sich nachdenklich über den Irokesen.
    »Perfekt. Ihr bleibt hier.« Er zieht ein Paar Lederhandschuhe aus der Tasche.
    »Keine gute Idee.« Howies Stimme dringt weich durch das nervöse Raunen im Inneren des Wagens. »Im Gegenteil, eine richtig schlechte Idee ist das.« Er starrt auf die Lichter, die durch die Bäume zu uns herüberscheinen. »Lass es bleiben, Pike. Diesmal nicht. Lass uns wieder fahren.«
    »Ja, wir fahren, Bruderherz. Aber erst wenn ich damit fertig bin.« Als Pike aussteigt, schlägt uns ein eisiger Luftstoß entgegen. »Mach das Licht aus, Howie. Aber lass den Motor laufen.« Er schlägt die Tür zu, und wir sehen ihm schweigend nach, wie er sich zwischen den grauen Baumskeletten durchzwängt.
    Die Lichter, auf die er zuhält, gehören zum oberen Stockwerk des Stony Creek Mini-Markts. Der Laden wird von einem fetten alten Mann namens Bill Clayton geführt (er wohnt direkt
über dem Laden) und liegt gewissermaßen in den letzten Zuckungen. Die Wandfarbe blättert ab, Spinnwebenrisse zieren die Fensterecken, die Schilder sind von der Sonne ausgeblichen.
    Ich kann Pike nicht mehr von den Schatten unterscheiden.
    »Was hat er vor?«, frage ich.
    Achselzucken von Ash, Kopfschütteln von Howie.
    Was mache ich hier eigentlich?
    Am Telefon hatte
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