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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel
Autoren: Claudie Gallay
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E s ist noch Nacht, und der Fluss ist ruhig, als Odon Schnadel aus der Kabine seines Kahns tritt. Er hält eine Tasse in der Hand. Es ist sein erster Kaffee, schwarz, dampfend. Er hat Kopfschmerzen. Er lässt zwei Aspirin in die Tasse gleiten.
    Es ist drückend heiß.
    Zweige treiben im Wasser, abgebrochen weiter nördlich, dann hierhergetrieben; sie sind kaum zu erkennen im braunen Wasser.
    Die Bäume leiden, sogar jene, deren Wurzeln im Nassen stehen.
    Auf Deck riecht es nach Lack. In einer Dose stehen Pinsel, daneben ein Topf und Lappen. Der Lackgeruch macht seine Kopfschmerzen noch schlimmer.
    Odon trinkt seinen Kaffee und schaut auf den Fluss. Irgendwo auf der Insel heult ein Hund.
    In der Tür ein vergittertes Fensterchen. Ein schwacher gelber Lichtschein. Als Mathilde gegangen ist, hat er sich geschworen, das Licht brennen zu lassen, bis sie zurückkäme.
    Fünf Jahre. Die Birnen sind durchgebrannt. Er hat sie ersetzt.
    Heute ist sie da, irgendwo in der Stadt, für das Festival. Schon seit Wochen geht das Gerücht, die Jogar kehre in die Stadt zurück, sie spiele Die Brücken am Fluss im Théâtre du Minotaure.
    Die Zeitungen schreiben über sie.
    Überall ist sie Gesprächsthema, in seinem Viertel, auf der Straße. Es heißt, sie schlafe im La Mirande, einem der schönsten Hotels der Stadt. Es heißt auch, sie habe ihren Namen abgelegt, als sie die Jogar geworden sei.
    Odon trinkt seinen Kaffee aus, die Ellbogen auf die Reling gestützt.
    Es wird Tag.
    Big Mac, die Kröte, versteckt sich auf der Böschung.
    Ein Zug fährt vorbei.
    Odon zieht eine Zigarette aus der Schachtel und beißt den Filter ab. Es ist seine letzte, er zerknüllt das Päckchen und wirft es in den Fluss.
    Er pisst ins Wasser.
    Ein Fisch schwimmt an der Oberfläche. Ein Wels liegt in den Zweigen im Sterben, eingekeilt zwischen dem Kahn und dem Ufer. Alles hat Durst in diesem Sommer, die Erde, der Himmel, sogar der Fluss fordert seinen Anteil.
    Er stellt seine Tasse ab, zieht den Wels aus dem Schlick und wirft ihn in die Strömung zurück.

J eff kommt kurz nach acht; er lehnt das Solex gegen die Weide und steigt über die Absperrung.
    Brennnesseln und Grasbüschel wuchern am Fuß des Stegs. Ein Topf mit einer alten Geranie, deren knotige Stiele vertrocknet sind.
    Jeff kommt auf den Kahn.
    Er nimmt seinen Helm ab. Sein Haar ist schweißnass.
    Er wirft die Zeitung auf den Tisch, zwischen den Aschenbecher und die Tasse. Er wirft sie immer auf die gleiche Weise hin, lässig. Der Helm folgt.
    Früher war er Kantinenwirt im Gefängnis. Als das Gefängnis geschlossen wurde, behielt er die Schlüssel, einen ganzen Bund. Seit zwei Jahren besetzt er eine Zelle mit Blick auf die Rückseite des Papstpalastes. Er bekommt finanzielle Unterstützung vom Staat. Außerdem nimmt er kleine Jobs an, kümmert sich beispielsweise um Odons Kahn und Theater.
    Er holt ein Kleeblatt aus seiner Tasche.
    »Das hab ich am Ufer gefunden. Ein gutes Zeichen«, sagt er und zeigt die vier Blätter.
    Odon schaut nicht mal hin, er hat die Zeitung aufgeschlagen.
    »Ein gutes Zeichen, von wegen …«
    Auf der ersten Seite die Schlagzeile: Avignon im Schock!
    Nach einer Woche Streik hat die Festivalleitung soeben alle Vorstellungen abgesagt. Die Zeitungen sind voll davon.
    Seit Jahren wird die Unzufriedenheit immer größer, irgendwann musste es zum Eklat kommen.
    Odon ist besorgt. Am Abend zuvor hat seine Truppe aus Solidarität nicht spielen wollen.
    Er fährt sich mit den Händen über das Gesicht. Seine Haut ist trocken. Oder die Innenseite seiner Hände.
    Er schaut auf den Fluss. Das Wasser schimmert rot in der Sonne.
    Jeff steckt das Kleeblatt wieder ein.
    Er nimmt einen Apfel aus dem Korb. Er lehnt sich an die Reling, reibt mit den Zähnen die Schale und beißt hinein, auch das Kerngehäuse isst er mit. Das hat er immer schon getan. Er isst sogar die Kerne. Angeblich enthalten sie Arsen. Nur den Stiel wirft er weg.
    »Man sagt, das wird ein schlimmer Sommer. Ein Scheißsommer.«
    Er zählt die Arbeiten auf, die er vor dem Herbst noch erledigen muss, das Deck waschen, das Stromaggregat warten, den Klapptisch reparieren. Er muss auch die toten Zweige wegräumen und die leeren Farbtöpfe wegschmeißen, die überall herumstehen.
    Jeff wird dafür bezahlt, sauberzumachen, zu lackieren und zu verhindern, dass der Kahn verkommt.
    Und dennoch.
    Das Deck ist zugestellt mit mehreren großen Sesseln, einem Sofa, einem sich drehenden Friseurstuhl und einem niedrigen Tisch in der
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