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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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einmal mit einer Erbtante, die in Ulm in den letzten Zügen liegt und die du pflegen mußt, weil sie ihr Haus und ihre Brillanten sonst dem Verein zur Bekleidung von nackten Negerkindern vermacht.«
    »Weshalb eigentlich in Ulm?«
    »Wozu sollst du deinen Chef auch in solchen Kleinigkeiten beschwindeln?« fragte er dagegen. »Man muß immer so unkompliziert wie irgend möglich lügen. Alle guten Dinge sind schlicht und einfach, und nur die bösen sind verwickelt. Und dann dachte ich auch daran, daß wir uns am besten in Ulm einbooten. Man hat von dort aus eine Menge Möglichkeiten: das Altmühltal, die Naab, den Lech, wenn er nicht gerade Hochwasser führt. Zumeist stille Gewässer, die nicht von Paddlern überlaufen sind, und wo man seine Ruhe hat. Denn für eine Wildflußfahrt, fürchte ich, werden meine Knochen noch nicht so rasch herhalten.«
    »Erbtante in Ulm?« überlegte sie und murmelte die Worte vor sich her. »Erbtante klingt faul, oberfaul sogar. Aber Ulm klingt solid. Ulm. — Horch nur einmal her: U - L - M! Das klingt gut, findest du nicht auch? Das Wort Ulm hat so etwas Glaubwürdiges an sich, so etwas Vertrauenswürdiges, nicht wahr?«
    »Unbedingt!« antwortete er mit dem Brustton der Überzeugung.
    »Und wann soll es losgehen?« fragte sie.
    »Vielleicht nach vierzehn Tagen oder drei Wochen.«
    »Dann muß ich schon morgen im Büro von Tante Minna zu reden anfangen. Ja, ich werde sie Minna nennen. Minna klingt auch solid.«
    Eine kleine Weile sprachen sie von den Anschaffungen, die für die Fahrt erforderlich waren. Ihre alten Sitzkissen ließen schon seit längerer Zeit Luft. Und auch den Booten fehlte ein neuer Anstrich.
    »Da ist noch etwas anderes, Barbara«, sagte Michael schließlich zögernd.
    »Was denn? Hast du vielleicht noch einen anderen Vorschlag zu machen?«
    »Nein, nein, ich habe keinen Vorschlag, sondern ich habe einen Wunsch.«
    »Sprich ihn ruhig aus«, sagte sie herzlich, als er nicht so recht damit herausrücken wollte.
    »Würdest du es mir gestatten«, murmelte er schließlich, »daß ich mich während unserer Ferien nicht rasiere?«
    »Was ich mir jetzt gedacht habe!« sagte sie fast enttäuscht. »Von mir aus kannst du dir einen meterlangen Vollbart wachsen lassen!«
    Schwester Kordula drückte die Tür mit dem Ellbogen auf, sie konnte dazu nicht die Hände gebrauchen, weil sie ein Tablett trug, auf dem zwei dampfende Suppenteller standen.

2

    Herr Thomas Steffen legte die messingblanke türkische Kaffeemühle für einen Augenblick auf den Boden und sah sich mit einem nervösen Gesichtszucken nach Marion um.
    Marion Keyser hantierte an dem kleinen Reisekocher, der durchaus nicht brennen wollte; möglich, daß der Hartspiritus ein wenig feucht geworden war, denn ihr Boot ließ irgendwo Wasser eindringen. Immer schwappte es ein wenig unter dem Sitzrost.
    Direktor Keyser, Marions Vater, lag im Schatten eines Erlengebüsches. Er hatte die Sonnenbrille auf die Stirn geschoben und beobachtete argwöhnisch eine Bremse, die mit wütendem Eifer immer engere Spiralen um seine nackten, merkwürdig kahlen Beine zog.
    »Gewitter ziehen mit Vorliebe den Flüssen entlang«, stellte Herr Steffen besorgt fest und horchte ängstlich nach Westen, wo sich ein schwarzer Wolkensaum mit gelb gezackten Rändern drohend auf die unbarmherzig stechende Nachmittagssonne zuschob. Ein gewaltiger Vorhang, der aussah, als würde er bald alles Licht schlucken und auslöschen. Steffen legte die Hand muschelförmig ans Ohr: »Hören Sie, Herr Keyser?«
    Vorläufig hörte man nichts als das rasende Surren der Bremsenflügel, das Steffen wahrscheinlich für entferntes Donnergrollen gehalten hatte. Und plötzlich verstummte es.
    »Pst! Pst!« zischelte Direktor Keyser und starrte wie gebarmt auf seine sonnengeröteten Beine. Er hatte sehr helle Haut und wurde niemals richtig braun. Wenn er ein Sonnenbad nahm, sah er nach zwei Stunden wie ein Krebs aus und war am nächsten Tag wieder blaß wie zuvor. Er hielt die Hand abwehr- und schlagbereit in Schulterhöhe.
    »Sie hat sich gesetzt! Das Biest hat sich gesetzt! Aber wo? Wo?!« Er erfuhr es, noch ehe er das letzte Wort beendet hatte. Die Bremse hatte in kluger Taktik ihrerseits die Offensive ergriffen und Herrn Direktor Keyser kräftig in die erhobene Hand gestochen.
    »Ist das hier nicht ein wundervolles Plätzchen?« fragte Marion ahnungslos und sehr munter. Sie tänzelte, mit einem entzückenden Bikini bekleidet, über das Ufergeröll und trug einen bis zum
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