Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
aus: »Ach, wissen Sie, mein Sommer- und Urlaubstraum ist eine Insel. Ein Inselchen irgendwo in einem unserer Flüsse. Im vergangenen Jahr paddelte ich den Regen abwärts — Altmühl, Naab und Regen, fließen ihr entgegen, nicht wahr? Ich hatte eigentlich eine größere Tour vor mir, bis Wien hinunter. Aber wie es dann so kam, gleich am zweiten Tag hielt mich ein kleiner grüner Fleck mitten im Wasser fest. Eine Insel, nicht viel größer als dieses Zimmer hier, aber ein Idyll zwischen Berghängen und Wäldern. Ja, und dann kamen wir nicht mehr los, bis unser Urlaub vorbei war.«
    »Sie haben aber auch lange im Singular erzählt und wechselten erst zum Schluß auf den Plural über!« stellte Michael ohne jedes Zartgefühl fest und grinste, daß sich der Gesichtsverband verschob.
    »Ich habe Ihnen schon angedeutet«, sagte Dr. Schwenninger mit einiger Würde, »daß völlige Einsamkeit bei einem Erholungsaufenthalt nicht durchaus notwendig sei.« Er stand auf und verabschiedete sich mit der Bemerkung, daß er im Laufe des Tages noch einmal bei Michael vorsprechen werde.
    »Schwester Kordula«, sagte Michael, als der Arzt die Tür hinter sich geschlossen hatte, »würden Sie so freundlich sein, für mich eine telefonische Bestellung auszurichten?«
    »Ich werde Ihnen das Telefon ans Bett bringen, wenn Sie mir versprechen, daß Sie sich kurz fassen.«
    Sie ließ ihn für eine Minute allein, kam mit einem Apparat zurück, steckte den Kontakt in die Anschlußdose, ließ sich von Michael die gewünschte Nummer nennen, gab sie der Zentrale weiter und reichte ihm, als Antwort kam, den Hörer.
    »Barbara, du? Hier ist Michael. Weshalb ich so undeutlich spreche? Das kann höchstens daran liegen, daß zwischen meinem Mund und dem Mikrophon etwas Mull liegt — ein kleiner Verband. Woher ich spreche? Aber Liebling, das will ich dir ja gerade erklären, wenn du mich auch einmal zu Wort kommen läßt. Ich bm augenblicklich im Städtischen Krankenhaus. Wen ich da besuche? Eigentlich niemand. Natürlich bin ich nicht zum Spaß hier — oder eigentlich doch. Mir ist nämlich nichts passiert. Man hat mich nur ein bissel eingewickelt, in Verbandszeug, weil ich mit der Motte ein kleines Malheur gehabt habe. Nun reg dich bloß nicht auf, Süße! Ich bin vollkommen in Ordnung, mein Wort darauf, voll-kom-men in Ord-nung! Aber es wäre trotzdem lieb von dir, wenn du die Karten für den >Barbier von Sevilla< abgeben und mich statt dessen besuchen würdest. Zimmer...Einen Moment — Schwester Kordula, bitte, welche Zimmernummer?...einhundertneunzehn, Barbara, schreib es dir auf. Wann bist du heute dienstfrei? Um sechs? Ach, Liebling, wart noch einen Augenblick!«
    Michael legte die Hand mit einiger Mühe über die Muschel und sah Schwester Kordula flehend an: »Wäre es Ihnen möglich, Schwester, heute abend zwei Gedecke aufzulegen und ein wenig Aufschnitt, eine Büchse Sardinen und ein paar Scheiben Lachs besorgen zu lassen? Es ist auch darum, weil ich jemand brauche, der mich füttert.«
    »Ich will Ihnen einen anderen Vorschlag machen, junger Mann«, sagte Schwester Kordula mit ihrem wundervollen Bariton, »wir setzen Ihrer Braut ein warmes Essen vor; einen Löffel Windsorsuppe, Huhn mit Reis und zum Nachtisch einen Obstsalat.«
    »Hast du es gehört, Barbara?« rief er. »Nur undeutlich? Um so besser, dann kann ich zum Abendessen mit fürstlichen Überraschungen aufwarten. Also um halb sieben. Bis dahin, ahoi, Liebste!«
    Er reichte Schwester Kordula den Hörer hin.
    »Oh, Schwester Kordula«, sagte er ein wenig erschöpft und versuchte, sich den Eisbeutel von der Schulter auf den dröhnenden Schädel zu legen, »vorläufig kann ich Ihnen nur mit einem strahlenden Blick danken. Ich werde aber dafür sorgen, daß Sie bei der nächsten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an erster Stelle berücksichtigt werden.«
    »Halten Sie den Schnabel und versuchen Sie, ein wenig zu schlafen!« befahl Schwester Kordula streng.

    Michael Prack und Barbara Hollstein waren einander vor vier Jahren zum erstenmal begegnet. Zu einer Zeit, als zwischen Michael und dem Hungertod nur die dünne Scheidewand seiner in den Semesterferien verdienten Einkünfte aus allen möglichen
    Aushilfsposten stand, als Nachtwächter, Fremdenführer, Autolotse, Begleiter von Damen auf Faschingsveranstaltungen, Babysitter und Bauhilfsarbeiter.
    Er stammte aus einer guten, alten Familie. Aber dieser guten, alten Familie war es ergangen, wie es in den bösen Zeiten des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher