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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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    Michael erwachte. Und als griffen nach einem Stillstand, von dem er nicht sagen konnte, ob er Minuten, Stunden oder Tage gedauert habe, die Zahnräder eines Getriebes wieder ineinander, so rasch und klar und mühelos hakten seine Gedanken in die letzten Augenblicke vor der Bruchlandung ein.
    Er wußte: Du bist Michael Prack, Ingenieur, zweiunddreißig Jahre alt, hast einen Kontrakt mit der Iran Oil Company in der Tasche, in dem du dich verpflichtet hast, für fünf Jahre nach Persien zu gehen und dort in den Provinzen Laristan und Baschkird am Persischen Golf nach Erdöl zu bohren und in den Laboratorien der Raffinerien von Kargun, Magam und Galandab zu arbeiten. Schwierige, fremde Namen, nicht wahr? Aber sein Kopf schien zu funktionieren, nachdem er sie so mühelos herunterschnurren konnte. Auch jener Passus des Vertrages mit der Iran Oil war ihm durchaus geläufig, in dem es die Gesellschaft ihren leitenden Ingenieuren zur Bedingung machte, daß sie den Steuerknüppel eines Flugzeuges ebenso sicher zu bedienen verstanden wie das Lenkrad eines Kraftwagens. Die Gesellschaft übernahm sogar die Ausbildungskosten, und als begeistertem Segelflieger war es ihm nicht schwergefallen, die Pilotenprüfung zu bestehen. Ein Dutzend Übungsflüge sollten seine theoretischen und praktischen Kenntnisse vervollkommnen.
    In seinem Hirn spulte sich ein Film ab, der ihm das merkwürdige Erlebnis vermittelte, sein eigener Zuschauer zu sein. Er sah sich zu der startbereiten Fox-Gipsy-Moth über das Rollfeld gehen, breitschultrig, gut gewachsen, sehr gesund und prächtig gelaunt, wie es sich für einen Frühlingstag mit blauem Himmel und langsam ziehenden Wolken gehört. Er wechselte mit den Mechanikern einen Gruß und ein paar Witzworte, kletterte in die Kanzel und sah, wie die Männer die Schraube anwarfen und die Bremsklötze lösten. Er schnallte sich fest, gab Gas, rollte an, bekam Fahrt, drückte sich von der Startbahn ab, schwebte und zog die flotte kleine Motte in einer sanften Kurve empor, die den Horizont wie eine gewaltige Dünungswelle mitsteigen ließ.
    Merkwürdig nur, daß er im Augenblick des Anschwebens das Gefühl einer winzigen Gewichtsverlagerung nach links gehabt hatte. Merkwürdig deshalb, weil der Tag fast windstill war, mit einer ganz sanften stetigen Südströmung, die nicht kräftig genug war, die Windsäcke zu blähen. Kein Lern-, sondern ein reiner Vergnügungsflug. Er hätte sich die Brise etwas kräftiger gewünscht. Schließlich war es nicht wichtig, sich zum Schönwetter-Piloten ausbilden zu lassen. Denn wenn dort unten der Monsun wehte...Oder war es der Samum mit Sand- und Staubwirbeln? Na egal, wie die Winde an der Golfküste auch heißen mochten, er besaß eine lebhafte Phantasie und konnte sich vorstellen, daß man es auch einmal mit sehr unangenehmen Situationen zu tun bekommen konnte, auf die man eigentlich trainiert werden müßte.
    Jetzt fliegt er nach Süden, wo die Berge zartblau an den Horizont getuscht sind, unter sich die Quadrate von grünen Roggenfeldern und braunen Kartoffeläckern, die Stadt liegt hinter ihm, hier blitzt der Spiegel eines Weihers herauf, ein Waldstück schimmert dunkel auf, ein spitzer Kirchturm neben einem roten neugedeckten Ziegeldach wird Wendemarke, denn jetzt ist er schon zwanzig Minuten lang in der Luft, der Motor hämmert unverdrossen, und blitzend reißt der rotierende Propeller die kleine Motte vorwärts. Wahrhaftig nicht im Tempo eines Düsenjägers. Es ist eine gemütliche Kutschenfahrt. Mehr als hundertsechzig schafft die brave Fox-Gipsy nicht. Soll sie aber auch gar nicht. Er zieht die Maschine in einer schönen Kurve herum und in die Richtung hinein, aus der er gekommen ist. Über der Stadt hängt ein grauer Dunst wie ein schwacher Nebelstreifen. Er spielt ein wenig mit dem Steuerknüppel, natürlich im erlaubten Rahmen, denn der Flugsicherungsdienst ist höllisch scharf dahinterher, daß die Flughöhe sehr genau eingehalten wird. Und da nähern sich auch schon die Fabrikschlote der Vorstädte im Osten, der Wind scheint völlig eingeschlafen zu sein, denn der Rauch steigt kerzengerade empor. Und da schimmern auch schon die Hangars herauf, schiefergrau gestrichene Blechdächer, und zu ihnen laufen die Rollbahnen sternförmig hin, helle Bänder zwischen Grünflächen, die immer breiter und deutlicher werden. Ein Blick auf die Uhr. Pünktlich wie ein Maurer!
    Und da ist auch seine Rollbahn. Was da unten wohl los sein mag? Ein Haufen Leute wimmelt da herum.
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